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Nomadentochter

Titel: Nomadentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waris Dirie
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Beulen, sodass der Eiter herauskam.
    »Mein Mohammed hatte das auch«, berichtete Dhura. »Wenn es in ein paar Tagen nicht besser wird, dann gehe ich hier in Holland mit ihm zum Arzt. Die medizinische Versorgung ist kostenlos, und die Ärzte sind sehr nett zu uns.«
    »Kostenlos?« Ich staunte. »Bei dem Arzt in New York habe ich über hundert Dollar bezahlt, und die Salbe, die er Leeki verschrieb, hat nichts geholfen.«
    »Hier übernimmt das der Staat, und wir bekommen Geld für Nahrungsmittel und die Wohnung; leider darf Mohammed nicht arbeiten, weil er nur einen F-1-Flüchtlingsstatus hat. Das bedeutet, dass wir nur so lange bleiben können, bis sich die Lage in Somalia wieder gebessert hat – wir haben keine Daueraufenthaltsgenehmigung. Wir warten und warten, aber ich habe nicht viel Hoffnung, dass er noch jemals zu einer Fortbildung gehen oder sich einen Job besorgen kann. Mohammed will eigentlich gar nicht mehr nach Somalia zurück.«
    Aha, dachte ich, also weint er um seine Heimat Tränen ohne Salz.
    Als Mohammed und ich am nächsten Morgen aufbrachen, um unsere Flüge nach Afrika zu buchen, trug ich einen langen Wickelrock aus Baumwolle. Manchmal bauschte er sich im Wind, und man konnte meine Beine sehen. Weil es kalt war, trug ich Socken und Schnürstiefel, einen Pullover und eine Jacke. Als wir aus der Wohnung traten, warf mein Bruder mir einen Blick von der Seite zu und sagte: »Willst du das etwa anlassen?«
    Ich sagte: »Ja. Warum?«
    »Mir gefällt der Rock nicht.«
    »Ich kann ja zurückgehen und mir Jeans anziehen.«
    Er verdrehte die Augen und stöhnte auf. »Nein. Das ist ja noch schlimmer.«
    Ich blieb stehen und sah ihn an. »Was hast du denn?«
    Er meinte: »Ist das alles, was du an Kleidung dabeihast? Jeans und dieser Rock?«
    »Nun, Bruder«, antwortete ich. »Wir leben in winterlichen Ländern. Ich weiß nicht, was ich deiner Meinung nach anziehen soll, aber das sind nun mal meine Sachen.«
    Seufzend entgegnete er: »Wir gehen in ein somalisches Büro, wo es Flugtickets und Reisen nach Somalia gibt. Es ist mir peinlich, wenn du deine Beine so zeigst. Kannst du nicht wenigstens irgendetwas darunter ziehen?«
    »Weißt du«, gab ich zurück, »das wird ja eine tolle Reise. Wir haben kaum am ersten Tag das Haus verlassen und schon zanken wir uns. Ich werde mich nicht wie eine Somali benehmen, meinen Körper völlig verhüllen und schweigen. Mir ist klar, dass du das von Dhura verlangst, und das kannst du auch gerne tun – aber zwischen uns sollte eins klar sein: Ich lasse mir keine Vorschriften machen!«
    »Waris, du weißt nicht, wie es hier ist«, begann er.
    »Halt den Mund«, fiel ich ihm ins Wort. »Ich bin von zu Hause weggelaufen, als ich noch sehr jung war. Ganz alleine habe ich mich durchgeschlagen, und weder du noch irgendein anderer Mann wird mir sagen, was ich tun oder lassen soll. Ich bezahle meine Rechnungen selber, und du bittest mich die ganze Zeit um Geld. Natürlich gelten in Somalia die Beine als erregendster Körperteil und sind daher immer bedeckt, aber wir befinden uns in Holland, also pass dich an!« Mohammed blickte überrascht auf. Ich glaube nicht, dass je eine Frau so mit ihm gesprochen hat. Seine Augen waren genauso rund wie seine Brillengläser.
    In Amerika hatte ich American-Express-Reiseschecks gekauft, weil wir so oft zwischenlandeten. Ich wollte kein Risiko eingehen, indem ich Bargeld mitnahm, deshalb mussten wir zuerst einmal zur Bank, um zumindest vier Tausender zu wechseln. Wir nahmen den Zug in die Stadt und gingen zur größten Bank in Amsterdam. Es war ein schneeweißes Gebäude mit hohen Säulen und einer Messingtür. Drinnen stand eine lange Schlange am Devisenschalter. Als ich an die Reihe kam, gab ich dem Bankbeamten die Reiseschecks und meinen Pass. Er hatte einen dicken Hals und eine rote Nase. Misstrauisch blickte er mich über den Rand seiner Brille an und fragte: »Sind das Ihre Schecks?«
    »Ja, natürlich.«
    »Könnten Sie bitte hier unterschreiben?« Er schob mir ein Blatt Papier über den Tresen. Ich schrieb meinen Namen, und nachdem er die Unterschrift von allen Seiten betrachtet hatte, meinte er: »Nein, tut mir Leid, aber diese beiden Unterschriften stimmen nicht überein.«
    »Hier ist mein Pass; es ist derselbe Name und dieselbe Unterschrift.« Ich hatte noch Reiseschecks für mindestens weitere fünftausend Dollar bei mir und fragte ihn, ob er sie alle sehen wolle. Zwar bin ich nie zur Schule gegangen und kein Lehrer hat mir je das

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