Nomadentochter
Wir kauften Tickets zu einem Flughafen im nördlichen Somalia, Bosasso. Ich fragte, ob wir gleich am nächsten Tag eine Maschine bekommen könnten, weil ich schon in dreizehn Tagen wieder zurück in New York sein musste. Aber der Angestellte erklärte mir, es gäbe keine direkten Flüge dorthin, und wir müssten bis Samstag warten. Dann ginge es mit einer Frühmaschine nach London und von dort, mit mehrmaligem Umsteigen, nach Bosasso.
Nur wenige Flieger verkehren jede Woche zwischen Nairobi und Mogadischu, und sie starten nicht, wenn in der Hauptstadt gekämpft wird. Es gibt auch keine sichere Route, um auf dem Landweg von Kenia oder Äthiopien nach Somalia zu gelangen – es sei denn, man gehört zu einem Flüchtlingshilfskonvoi. Zwar hatte ich gute Verbindungen zu den Vereinten Nationen, es aber nicht mehr geschafft, diese Transportmöglichkeit zu arrangieren. Kürzlich waren Regierungsbeamte auf dem Weg zu einer Friedenskonferenz von Bewaffneten angegriffen worden, und neun Menschen bezahlten mit dem Leben. Mohammed hatte auch von Flüchtlingen in Amsterdam gehört, wie gefährlich es war, über Land zu reisen. Überall verstecken sich
shifta
-Banditen, und sie haben Gewehre oder sogar noch größere Waffen. Sie lauern den Leuten auf, die das Land verlassen wollen, vor allem, wenn sie bei jemandem Geld wittern. Entweder kauft man sich frei, oder man wird, ohne dass sie lange fackeln, umgebracht. Mohammeds Freund sagte uns, dieser Flug nach Bosasso sei der sicherste, weil man auf der nördlichen Route weniger Probleme hätte. Da sowohl Mohammed als auch Ali diese Verbindung als ungefährlich darstellten, kaufte ich die Tickets.
»Und wie kommen wir von Bosasso zu unserer Familie?«, fragte ich meinen Bruder.
»Wir können uns am Flughafen ein Auto mieten und nach Gelkayo fahren. Mutter lebt nicht weit von dort entfernt«, gab mein Bruder Auskunft. »Auf jeden Fall will ich mich von Mogadischu fern halten.«
Mohammed mied Mogadischu wie die Beulenpest. Nicht einmal darüber hinwegfliegen wollte er. »Die Soldaten in Mogadischu kennen keinen Unterschied zwischen Passagiermaschinen und Militärflugzeugen«, erklärte er. »Wenn sie high sind oder Langeweile haben – oder beides –, dann schießen sie auf alles, was sich bewegt, außer auf ihre
khat
-Schmuggler.«
»Und womit schießen sie?«
»Waris, sie haben Scud-Raketen!«, belehrte er mich, als ob ich ein wenig begriffsstutzig wäre. »Sie sind sowieso schon alt und gefährlich – vor allem aber in den Händen Verzweifelter und Verrückter ohne Ausbildung.«
»Mohammed«, fragte ich, »was ist eigentlich aus Mogadischu geworden?« Als junges Mädchen damals hielt ich es für die schönste Stadt der Welt. Hammawein, die Altstadt, liegt direkt am Indischen Ozean. Ich ging oft an den Strand und blickte auf die zwei- und dreistöckigen Gebäude, die im Mondschein schimmerten. Noch nie hatte ich Treppen gesehen – bis ich nach Mogadischu kam. Mein Onkel behauptete, die Stadt sei schöner als Mombasa oder Sansibar, und ich hatte keine Grund, das anzuzweifeln. Die meisten Häuser waren von Sultanen erbaut, die mit China, Persien oder Indien Handel trieben. Ein Haus hieß»Milch und Honig«. Der ehemalige Bauherr, ein Sultan, war so reich, dass er Milch und Honig unter den Mörtel für die Ziegel mischen ließ. Es war blassgolden und stand direkt am tiefblauen Meer. Angeblich würde es wegen der Zusammensetzung des Mörtels niemals einstürzen. Meine Tante erzählte mir, dass sich im obersten Stockwerk eine lange Halle erstreckte mit vier geschnitzten Holztüren, die nur von außen geöffnet werden konnten, weil sich dahinter der Harem des Sultans befand.
»Waris«, seufzte Mohammed, »die Stadt liegt in Trümmern. Überall ist Schutt – in den Straßen liegen ausgebrannte Trucks und Steinhaufen von den Barrikaden. Wenn die Soldaten von
khat
berauscht waren, dann haben sie auf Gebäude einfach so zum Spaß gezielt. Es hat diesen Idioten gefallen, sie einstürzen zu sehen.«
»Allah!«
»Die Burschen waren so durchgedreht von
khat
und anderen Drogen, dass sie nicht mehr wussten, was sie taten, und auch nicht mehr darüber nachdenken konnten. Nachmittags, während sie ihr
khat
kauten, war es ruhig in der Stadt; aber wenn die Sonne unterging, fingen die Probleme an. Sobald die Wirkung der Drogen nachließ, krochen sie aus ihren Kasernen.« Mohammeds Augen blitzten, und ich spürte seine tiefe Wut. Er sah alt und freudlos aus bei seiner Schilderung. Etwas in
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