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Nomadentochter

Titel: Nomadentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waris Dirie
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1991, also seit fast zehn Jahren, einen neuen Präsidenten gab, und ich hatte geglaubt, dass dadurch viele Probleme gelöst würden. Jetzt aber erkannte ich meinen Irrtum. »Wie wollt ihr denn jemals ein einiges Land bekommen, wenn die einzelnen Stämme nicht zusammenarbeiten?«, fragte ich.
    Burhaan meinte: »Es gibt eben zwei Präsidenten.«
    »Und wie funktioniert das?«
    »Einer ist im Norden, in Somaliland, und der andere im Süden. Und dann gibt es noch Puntland im Nordosten, um Gelkayo herum«, fügte Burhaan hinzu. »Daher haben wir auch zwei verschiedene Währungen. Die eine stammt noch von Siad Barre, und die andere ist das Geld von Mohammed Ibrahim Egal.«
    Als ich ein Kind war, lösten die Stammesältesten die Probleme. Wenn man zum Beispiel jemandem ein Auge ausschlug, dann verlangte seine Familie von deiner Familie Entschädigung dafür. Diese Bezahlung wird
diya
genannt. Männer aus beiden Familien trafen sich unter einem großen Baum und setzten sich dort so lange zusammen, bis sie sich einigten, wie viel der Verlust eines Auges ausmachte. Natürlich war das Auge einer Frau weit weniger wert als das eines Mannes. Jeder musste dann seinen Teil zur Entschädigung beitragen, und die entsprechenden Tiere wurden unter den Familienmitgliedern des geschädigten Mannes verteilt. Heute aber heißt es, he, ich wohne in Mogadischu – ich habe nichts mit dem Kerl zu tun, der dem anderen ein Auge ausgeschlagen hat. Ich will nicht für ihn bezahlen. »Wir brauchen eine Regierung mit Gesetzen und Verordnungen«, warf ich ein, »nicht diese Gruppen!« Aber keiner wollte mir zuhören, sie konnten sich einfach nicht vorstellen, wie man das durchsetzte. Mohammed bedauerte, dass es mit den alten Einrichtungen vorbei sei. »Die Alten werden nicht mehr geachtet, und die so genannten militärischen Führer haben ihre Truppen nicht im Griff.« Da sich meine Brüder immer weiter über diese Themen erhitzten, setzte ich mich zu den Frauen und sah zu, wie der Mond zwischen den Wolken aufging und mein Wüstenheim beleuchtete.
    Meine Mutter brachte eine Tasse Ziegenmilch zu den Nachbarn. Sie hatte nur vier Ziegen, und doch teilte sie die Milch mit der Nachbarin. Ich sah ihr nach, wie sie zwischen den von Dornenhecken umgebenen Hütten entlangwanderte und vorsichtig ihre kleine Blechtasse mit der roten Blume darauf in der Hand balancierte. Sie trug das gleiche Kleid wie immer und hatte sich einen zerrissenen Schal um den Kopf gewickelt. An den Füßen schlappten die kaputten Gummischlappen. Sie trat in die Hütte der Nachbarin und blieb dort ein paar Minuten. Schließlich kam sie wieder heraus, blieb stehen und betrachtete den Himmel. Dann kehrte sie zurück, wobei die leere Tasse an ihrem Finger baumelte, und hängt sie an den Nagel neben der Tür. So kenne ich meine Mama, immer freundlich, eine gute Nachbarin.
    »Mama, setz dich eine Minute – dann zeige ich dir, was ich dir mitgebracht habe«, bat ich. Die gute Seele setzte sich nie, war von morgens bis abends auf den Beinen. Ich hätte ihr am liebsten alles zu Füßen gelegt, was sie nie in ihrem Leben gehabt hatte.
    Sie lächelte mich an und stieß einen komischen Seufzer aus. »Ich kann mir kaum vorstellen, was du mir mitgebracht hast«, scherzte sie. Natürlich fragte sie sich, was ihr aus New York schon von Nutzen sein konnte. Sie blickte sich um und sagte dann zu mir: »Nicht hier draußen, Waris. Wenn jemand dich sieht, dann kommt das ganze Dorf und will auch etwas geschenkt haben.« Sie hatte Recht. Meine Verwandten würden mich nie um etwas bitten, aber sie würden so lange herumlungern und mich anschauen, bis für sie schließlich auch etwas abfiele. Also kamen nur Mama und Nhur mit mir in ihre kleine Hütte und wir zündeten eine
feynuss
an.
    Nhur begann sofort, meine Tasche zu durchwühlen, und fragte die ganze Zeit: »Was ist das? Und wofür das?«
    Ich mahnte: »Jetzt warte doch mal, ich erkläre es gleich.« Dann holte ich einen Topf Kakaobutter heraus. »Das ist
subaq
, Kakaobutter«, sagte ich und öffnete den Topf, damit sie daran riechen konnten. Bevor ich mich's versah, waren Nhur und meine Mutter mit den Fingern hineingefahren und steckten sie sich in den Mund.
    »Iih! Das schmeckt ja schrecklich. Kein Wunder, dass du so dünn bist. Wenn ihr in New York nichts anderes zu essen habt...«
    »He«, erklärte ich, »Kakaobutter isst man nicht. Man reibt damit die Hände und die Haut ein.«
    »Du kannst nicht damit kochen?«, wollte meine Mutter

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