Nomadentochter
konnte; doch kurz bevor wir uns über die Ziege hermachten, erklärte meine Mutter, seine Medizin sei fertig. Der Ziegenkopf war zu einer gallertartigen Masse zerkocht. Sie goss sie in eine Tasse und trug mir auf, sie meinem Vater zu bringen.
Ich setzte mich neben ihn und sagte: »Hier, Aba, die Suppe ist fertig.«
»Habt ihr euch deswegen heute früh gestritten?«
»Ja, Aba. Aber sie ist gut für deine Augen.«
Er bockte: »Ich habe keine Lust, sie jetzt zu trinken.«
Meine Mutter hörte seine Worte und schrie: »Was hat er gesagt?«
»Mama, er will die Suppe jetzt noch nicht trinken!«
»Was für ein grässlicher, alter Esel!«, murrte sie so laut, dass das ganze Lager es hören konnte. »Da habe ich ihm extra diese Medizin gekocht, und er will sie nicht trinken.« Sie rief mir zu: »Waris, bring sie sofort wieder zurück.« Gehorsam stand ich auf, aber sie hatte ihre Meinung erneut geändert. »Nein, lass sie einfach da. Er bekommt eben nichts anderes, bevor er nicht die Brühe getrunken hat.« Mein Vater nahm es ihr übel wie ein Kleinkind, aber er trank sie aus – die ganze Tasse.
Am Feuer setzte meine Mutter ihm immer weiter zu. »Du bist jetzt auf meinem Grund und Boden, hörst du? Du bist blind, alt und nutzlos. Du tust, was ich dir sage, verstanden?« Was sollte er dagegen machen? Er musste es dulden, dass sie sich um ihn kümmerte, und die Medizin einnehmen, die sie ihm verabreichte.
»Wer sind denn seine anderen Frauen?«, fragte ich meine Mutter. »Als wir an seinem Haus waren, standen da drei Kinder, von denen er sagte, es seien seine.«
»Na ja«, erwiderte meine Mutter. »Er behauptet, er wäre eine losgeworden, kurz bevor du hier ankamst. Angeblich mag sie ihn nicht mehr.«
»Warum?«, fragte ich. »Was ist geschehen?«
»Ich habe keine Ahnung, er erzählt mir ja nichts«, gab sie mir zu verstehen. »Für gewöhnlich lebt er mit seiner zweiten Frau zusammen. Zweifellos taucht sie hier auf, um zu fragen, ob du ihr ein Geschenk mitgebracht hast.« Mama wandte sich wieder ihrer Kochstelle zu, und mir war klar, dass ich nichts mehr aus ihr herausbekommen würde.
»Burhaan«, fragte ich, »lebt Vater immer noch mit der Frau zusammen, die wir mit den Füßen an einen Baum gehängt haben?« Ich hoffte nicht. Seit unserer damaligen Attacke hatte ich seine zweite Frau nicht mehr gesehen. Es war für uns alle ein Schock gewesen, als Vater eines Tages mit dieser anderen ins Lager gekommen war. Sie war nur wenig älter als ich, aber keineswegs ein scheues kleines Mädchen. Sofort übernahm sie das Regiment und kommandierte meine Brüder und mich herum, als sei sie eine somalische Prinzessin und wir die Sklaven. Als mein Vater eines Tages nicht da war, fesselten meine Brüder und ich sie und hängten sie kopfüber an einen Baum. Danach verschwand sie, und ich sah sie nicht mehr wieder. Wenn mein Vater immer noch mit ihr verheiratet war, dann würde sie sich bestimmt zeigen – und wer weiß, was ihr dann einfiele.
»Ich glaube, sie erinnert sich nicht mehr daran«, meinte Burhaan.
»Wie schafft er das bloß mit drei Frauen?«, fragte ich meinen Bruder.
»Ein Mann hatte einmal drei Frauen«, fiel ihm dazu ein. »Sie waren alle eifersüchtig aufeinander, also gingen sie zu ihm und wollten von ihm wissen, wen er am meisten liebte. Er entgegnete, sie sollten die Augen schließen, dann würde er seine Favoritin berühren. Die Frauen schlossen die Augen, und er berührte sie nacheinander alle drei.«
Viele kamen herbei, um die Verwandten, die von so weither gekommen waren, zu begrüßen und sich ein Geschenk abzuholen. Ich hatte keine Ahnung gehabt, was die Leute brauchten, deshalb hatte ich alles Mögliche mitgebracht: Babyöl, Kakaobutter, Frisiercreme, Seifen, Kämme, Shampoos, Zahnbürsten und Zahnpasta. Raschid schenkte ich eine blaue Zahnbürste und Colgate-Zahnpasta mit Fluorid.
Raschid fragte: »Was ist das?«
»Es wird Zahnpasta genannt«, erklärte ich. »Du gibst ein wenig von dieser Paste auf die Borsten, und dann bürstest du dir so die Zähne.« Ich demonstrierte die Bewegung mit dem Finger.
Er grunzte: »Ist das so ein Ding, das dein Zahnfleisch auflöst, und dann fallen dir die Zähne aus?«
»Ja«, zischte ich und verdrehte die Augen. »Genau das passiert dann!«
»Nein«, erwiderte er und gab sie mir zurück, »ich habe einen
caday
.« Er zog einen etwa fingerdicken Zweig aus seiner Hemdtasche. »Der hilft auch bei Zahnschmerzen. Kann die Zahnbürste das auch?«
»Nein.«
»Die
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