Nomadentochter
Kamele und Ziegen fressen das gerne. Können sie das blaue Ding fressen?«
»Nein, das ist nur für deine Zähne.«
»Und wie schmeckt das Zeug aus der Tube?«
»Man isst das nicht, du musst es wieder ausspucken. Es ist nicht gut, es hinunterzuschlucken.«
»Warum soll man sich denn etwas in den Mund stecken, was nicht gut für einen ist?«
»Du spülst ja deinen Mund mit Wasser aus, und solange du es nicht schluckst, tut es seinen Dienst an deinen Zähnen.«
»Na, das ist aber Wasserverschwendung. Und wenn man mal keins hat, um den Mund auszuspülen?« Darauf wusste ich auch keine Antwort, und er setzte zu einer ausführlichen Lektion über diese speziellen Büsche an. Man kann Zahnbürsten aus den weichen neuen Zweigen machen, und die älteren Zweige eignen sich gut für Speere. Mit den dickeren Ästen hält man ein Feuer in Gang oder errichtet einen Windschutz. Von der Rinde auf den Wurzeln kann man zwar Ausschlag bekommen, aber aus den Blättern kocht Mutter Tee gegen Muskelschmerzen; sie zermahlt sie auch zu einer antiseptischen Paste, die man auf Schnitte und Wunden streicht.
»Die Samen enthalten Öl und sind essbar«, belehrte er mich. »Wenn es sonst nichts zu essen gibt, bewahren sie dich vor dem Verhungern. Kann dich die Zahnpasta in der Trockenzeit auch am Leben erhalten?«, fragte er und musterte die kleine Verschlusskappe mit den Rillen.
»Schon gut, schon gut«, beschwichtigte ich und steckte die Tube wieder in meine Tasche. Stattdessen schenkte ich ihm ein Rasiermesser, aber ich sah ihm sein Missfallen an. Dann versuchte ich, die Zahnbürste Nhur zu geben, aber auch sie wollte sie nicht haben.
Burhaan sagte, in den jungen Zweigen des Zahnbürstenbaumes sei eine Substanz, die Bakterien in den Zähnen abtötete. »Und wenn du von
khat
oder so einen Fleck auf den Zähnen hast, dann entfernen wir ihn mit Holzkohle«, fügte er hinzu und lächelte mich mit seinen schönen Zähnen strahlend an.
»Ich weiß, ich weiß«, gab ich mich geschlagen. Sie gingen mir alle auf die Nerven. »Stell dir vor, ich bin hier geboren! Diese Dinge kenne ich doch! Man kaut Holzkohle, dann kaut man auf einem somalischen Zahnstock herum, und dein Gebiss wird wieder glatt und strahlend weiß.«
»Die besten Zähne, die du jemals gesehen hast«, bekräftigte Raschid.
Ich beschloss, meine Zahnbürsten jemand anders zu schenken. In New York glaubte ich noch, sie könnten sie brauchen, weil es keine Zahnärzte gibt. Oder sie finden keine Zahnbürstenbäume, von denen sie sich Stöcke abschneiden können. Herrje, was denn? Natürlich hätte ich besser Schuhe und Kleider mitgebracht. Nahrungsmittel kamen auch nicht in Frage, weil sie auf der langen Reise verdorben wären – aber eigentlich hätten sie davon am meisten profitiert.
An diesem Nachmittag griff ich meinem Vater unter die Arme und half ihm, sich aufzusetzen, damit ich sein Kissen und seine Decke aufschütteln konnte. Ich musste ihm seine Augentropfen geben, und als ich das Auge sah, kamen mir die Tränen. Es war völlig verklebt und geschwollen. Wenn er es jemals wieder öffnen könnte, würde das an ein Wunder grenzen. Wie konnte nur jemand mit einem Messer da hineinschneiden! Das war ein unerträglicher Gedanke. Ich gab ihm Tylenol gegen die Schmerzen und war froh, dass ich es mitgenommen hatte. So konnte ich doch zumindest etwas für meinen Vater tun. Als ich ihm die Sandalen in die Hand drückte, die ich in New York gekauft hatte, betastete er das Leder und die dicke Gummisohle. »Ich weiß, wer sie gebrauchen kann«, sagte er, »und hebe sie für deinen Bruder Raschid auf.«
Weil er so schwach und unsicher auf den Beinen war und nichts sehen konnte, musste ihn jemand auf den Abort begleiten. Er rief nach meiner Mutter, aber ich sagte: »Aba, ich bin doch da. Ich helfe dir.«
»Sind hier irgendwo Schuhe?«, fragte er.
Ich fand ein Paar weiße Flip-Flops und stellte sie nebeneinander vor seine Füße. »Komm«, forderte ich ihn auf, »gib mir deine Hand.«
»Nein, so blind bin ich nun auch wieder nicht. Stell die Schuhe hin, ich finde sie schon«, wies er mich an. Er hockte sich hin und tastete mit den Zehen nach den Flip-Flops. Als er sie an den Füßen hatte, trug er mir auf: »Hol deine Mutter!«
»Sie ist nicht hier, Vater. Ich weiß nicht, wo sie steckt.«
»Dann warte ich auf sie«, erklärte er und schlang die Arme um die Waden.
»Aber ich kann dich doch stützen, Vater. Ich bin dein Kind und habe selber ein Kind. Lass mich dir helfen!« Er
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