Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nomadentochter

Titel: Nomadentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waris Dirie
Vom Netzwerk:
standen wir um sechs Uhr auf, wenn die Hähne krähten, die Vögel anfingen zu zwitschern und die Hühner gackernd umherliefen. Am Abend ruhten wir aus, und manchmal gab es in den Läden auch kein Öl mehr für die Lampen. Nach Sonnenuntergang gingen wir früh schlafen. Die Versorgungslage war, vermutlich auf Grund der Gefahrenzonen um Mogadischu, äußerst prekär.
    Mohammed schlief im Haus meines Onkels, in dem sich sehr viele Leute aufhielten. In diesem kleinen Dorf gab es natürlich keine Hotels oder zusätzlichen Wohnraum. Alle schlüpften irgendwo unter, und wenn jemand zu Besuch kam, dann rückte man eben ein bisschen zusammen.
    »Hast du gut geschlafen?«, fragte ich Mohammed.
    Er wedelte mit den Händen durch die Luft, als wolle er eine Fliege verscheuchen. »Wenn wir das nächste Mal herkommen, sollte der Anbau an Burhaans Haus fertig sein, damit wir alle hier wohnen können«, verlieh er seiner Hoffnung Ausdruck. Er trat in Mamas Haus, um ihren gelben Plastikeimer mit Wasser zum Waschen zu füllen. Dabei stieß er sich wie immer den Kopf an der Tür. Dann setzte er sich auf einen niedrigen Hocker in den Hof, nahm seine Brille ab und wusch sich Gesicht und Arme. Er nahm ein wenig Wasser in die hohle Hand, verrieb es auf seinem Oberkörper und ließ sich von der Sonne trocknen. Danach zog er den rechten Socken und Schuh aus, um den Fuß zu waschen, und dann erst den linken, um das Gleichgewicht zu halten.
    Mir fiel auf, dass ein hellgrüner Schimmer alle Büsche und Bäume überzog; dabei hatten sie noch vor ein paar Tagen leblos und tot gewirkt. Meine Haut ist der festen Überzeugung, dass alle Pflanzen in Somalia Dornen tragen. Sie brauchen ihre ganze Energie für sich selber, und in der
jilaal
, der Trockenzeit, sagen die scharfen Dornen: »Bleib weg, ich habe nichts für dich!« Aber wenn es regnet, wachsen die Blätter sehr rasch, und alles ist voller Freude.
    Den öffentlichen Abtritt benutzte ich übrigens nicht gerne. Meine Mutter hatte keinen eigenen, es gab nur einen für alle, und man konnte ihn schon von weitem riechen. Es war ein kleiner viereckiger, nach oben offener Raum mit einer Holztür, die keinen Riegel besaß. Mitten im Zementboden befand sich ein viereckiges Loch, über das man sich hocken musste, um sein Geschäft zu erledigen. Es stank grauenhaft, der Boden war nass und schmutzig, und ich sah immer zu, dass ich so schnell wie möglich wieder herauskam. Meine Leute gehen barfußüber Felsen und durch Dornenbüsche, aber niemals ohne Schuhe auf den Abort. Wenn man keine eigenen hatte, dann wartete man so lange, bis man sie sich von jemand anders borgen konnte.
    Auf dem Rückweg bemerkte ich, dass ein paar kleine Jungen aus dem Dorf mich beobachteten. Einer von ihnen hatte tiefschwarze Haut, die in der Sonne glänzte. »Oh, Blackie, Blackie«, rief ich ihm zu, »schenk mir deine schöne Haut!« Ich holte meinen Fotoapparat, um ihn zu fotografieren, und wollte auch ein paar Bilder von meiner Familie machen. Die Jungen tanzten herum und lächelten, wenn sie mich nicht gerade anstarrten. Mit ihren schönen weißen Zähnen in den hübschen schwarzen Gesichtern posierten sie vor meiner Kamera. Jedes Kind trug ein ledernes Schutzamulett um den Hals. Allah war überall!
    Meine Familie aufzunehmen, erforderte schon etwas mehr Geduld. Als Mohammed mich mit dem Apparat um die Hausecke biegen sah, rief er allen zu: »Zieht euch bloß um, bevor sie Fotos von euch schießt! So dürfte ihr euch nicht knipsen lassen, sie verkauft die Bilder an eine Zeitschrift!« Er streckte dauernd die Zunge heraus und wedelte mit den Händen vor der Kamera herum, sodass ich kein einziges gutes Bild zu Stande brachte. Burhaan verschwand im Haus und kam nicht wieder zurück. Er presste seine Nase gegen das Metallgitter am Fenster, und immer wenn ich den Apparat zückte, zog er sich rasch zurück.
    Wütend schrie ich sie an: »Seid doch nicht albern! Ich verkaufe eure Bilder nicht an Modemagazine. He, ich will doch nur ein paar gute Schnappschüsse für mich selber haben, um sie meinen Freunden zu zeigen. Jetzt kommt doch wieder heraus, Jungs!« Schließlich jedoch gab ich es bei den Männern auf und wandte mich an meine Mutter. »Mama, bitte, dann fotografiere ich eben dich. Ich möchte doch wenigstens ein Foto von dir haben.«
    Mohammed behauptete: »Nein, nein, sie verkauft es an die Titelseite einer Zeitschrift, das garantiere ich dir!« Alle glaubten ihm. Er sagte ihnen, sie müssten ihre besten Sachen anziehen und

Weitere Kostenlose Bücher