Nomadentochter
sich waschen, damit sie auf den Bildern nicht so schmutzig wirkten. »Wenn sie euch so verstaubt fotografiert, dann müsst ihr ihr die Kamera wegnehmen!«, hetzte er sie auf.
Empört schrie ich meinen grässlichen Bruder an: »Mohammed! Hör endlich auf, ihnen so verrückte Sachen weiszumachen!«
»Ich denke ja nicht daran«, erwiderte er fröhlich. Er genoss das Spiel. Immer wieder deutete er mit dem Finger auf mich und erklärte im Brustton der Überzeugung: »Sie geht mit den Fotos hausieren!«
Schließlich erklärte ich: »Wisst ihr was, ihr seht aus wie Flüchtlinge. Ich könnte euer Foto höchstens an den
National Geographic
verkaufen. Und das meine ich ernst!« Es ärgerte mich, dass sie sich wegen einer Hand voll Schnappschüsse, die bei mir zu Hause in der Drogerie entwickelt würden, so aufführten. »
Hoyo
, Mutter«, bat ich, »lass mich wenigstens ein Foto von dir machen.«
»Ich habe keine Zeit«, wehrte sie ab. Sie gab nie Ruhe, ständig war sie beschäftigt, vom frühen Morgen bis spät in den Abend hinein.
»Hoyo«
, bat ich, »bitte, sitz still. Ich möchte dich nur fotografieren, damit ich die Bilder meinem Sohn zeigen kann. Er soll doch seine Großmutter und seine Familie kennen lernen.«
»Na, dann mach ein Foto«, erwiderte sie ungeduldig und stellte sich stocksteif hin.
Raschid versperrte mir die Sicht und meinte: »Mama, du musst ein anderes Kleid für das Bild anziehen.«
»Ich habe mich heute Morgen schon angezogen«, fauchte Mama.
Er zupfte an ihrem verschlissenen, braunen Kleid und beharrte: »Zieh das Neue an, das ich für dich gekauft habe. Du kannst doch auf dem Foto nicht diesen alten Fetzen tragen.«
Mama murrte, er solle sie in Ruhe lassen; aber sie ging doch in ihre Hütte und kam mit einem anderen Kleid, das sie einfach über das braune Gewand gezogen hatte, wieder heraus. Es hatte ein Muster aus dunkelroten Streifen und gelben Blumen. Sie war so dünn, dass die zwei Kleider übereinander gar nicht auffielen. Plötzlich gab sie sich schüchtern und zog sich den
chalmut
vors Gesicht, während ich auf den Auslöser drückte. Mohammed saß auf seinem dreibeinigen Hocker und scheuchte wie immer alle herum. Er erklärte ihr, auf Fotos müsse man die Zunge herausstrecken, was sie natürlich prompt befolgte.
»Burhaan«, bat ich, »hilf mir bitte, Aba zu fotografieren.« Burhaan und Mohammed gingen ihn holen. Sie stützten ihn und traten vorsichtig mit ihm in die Sonne.
»Oh, die schöne Familie Dirie«, lobte ich und filmte alles mit der Videokamera. Ich stellte fest, dass mein Vater nicht mehr so groß war wie Mohammed. Als Aba merkte, dass ich ihn aufnahm, schob er meine Brüder beiseite und stellte sich alleine in Positur, aufrecht und würdevoll, obwohl er auf einem Auge blind und das andere verbunden war. Es widerstrebte ihm, dass seine Hilfsbedürftigkeit auf einem Bild festgehalten wurde. Er sah aus wie der mächtige Vater, den ich als Kind gekannt hatte. Nichts konnte seine Stärke brechen.
Nhur war im achten Monat schwanger, aber sie schleppte sich trotzdem jeden Tag in die Stadt, um sauberes Trinkwasser zu holen. Dort gab es eine Zapfstelle, an der man für zehn Shilling seine Behälter füllen konnte. Ganz alleine trug sie etliche Gallonen zurück. Sie füllte zwei Eimer und nahm in jede Hand einen. Als ich sie mit ihrer Last über den Hügel kommen sah, lief ich ihr sofort entgegen, um ihr zu helfen. Meine Brüder saßen in der Zwischenzeit am Haus, unterhielten sich und diskutierten über Politik. »Wo ist denn eigentlich dein nichtsnutziger Ehemann?«, fragte ich sie. »Er faulenzt herum. Warum lässt du das zu?« Sie warf mir nur einen Blick zu.
Wenn Nhur das Wasser geholt hatte, ging sie in der Hitze auf den Dorfmarkt, um sich nach Lebensmitteln umzuschauen. Sie kaufte Reis, der in kegelförmige Tüten aus alten Zeitungen gefüllt wurde, und Ziegenfleisch, wenn es welches gab. Außerdem besorgte sie Gewürze in Papierpäckchen, immer nur so viel, wie sie für einen Tag brauchte. Dann sammelte sie Holz und errichtete ein Kochfeuer. Sie schnitt das Fleisch in Stücke, wobei sie sorgfältig Fett und schlechte Teile entfernte. Zuletzt kochte sie Reis und Fleisch mit ein bisschen Öl, ein oder zwei Zwiebeln und Tomaten. Dabei schnürte sie ständig das Feuer, damit es in Gang blieb. Wenn alles gar war, häufte sie den Reis auf eine runde Blechplatte und drückte eine Vertiefung in die Mitte, in die sie das Ziegenfleisch mit der würzigen Soße legte. So wurde die
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