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Nomadentochter

Titel: Nomadentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waris Dirie
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Ziege, Whitey, begann zu schnarchen, als sie eingeschlafen war, und alle lachten über das Tier, außer Mutter.
    »Macht euch nicht über sie lustig«, mahnte sie. »Sonst ist morgen früh ihre Milch sauer.«
    »Sie furzt auch ziemlich viel«, warf Raschid ein, und meine Mutter zischte ihn böse an.
    Ich sagte meinen Eltern und meinen Brüdern, wie froh ich war, dass wir hier alle beisammen sein konnten. Für eine Nomadenfamilie grenzt es an ein Wunder, vor einer kleinen Hütte zu sitzen. Bisher hatten meine Geschwister und ich uns noch nie an einer Stelle gemeinsam aufgehalten.
    »Wann waren wir eigentlich das letzte Mal alle zusammen?«, fragte ich meine Eltern.
    »Noch nie«, meinte mein Vater entschieden
    »Dann ist das heute Abend wirklich ein großartiges Ereignis und ich danke Allah dafür«, sagte ich. Mohammed war sehr still und blickte zu den Sternen. Er denkt sicher daran, dass wir morgen wieder fahren müssen, überlegte ich. Und er denkt, dass wir uns so vielleicht nie wieder alle treffen.
    Meine Mutter betrachtete ihren ältesten Sohn. »Es war einmal ein reicher und berühmter Sultan«, begann sie.
    »Hiiyea«, freuten wir uns einstimmig. Eine Geschichte! Mutters Augen glänzten im Feuerschein nun doch, und sie unterstrich jeden Satz mit viel sagenden Gesten.
    »Er hatte bestickte Hemden und weiche Teppiche. In seinem Palast in Mogadischu am Indischen Ozean wehte immer ein kühlender Wind. Ausgestattet war er mit kostbaren Edelsteinen und Seiden aus Arabien. Feinste Duftlampen brannten in jedem Gemach, ob er sich nun darin aufhielt oder nicht. Trotz seines unermesslichen Reichtums war er jedoch unglücklich – aber er wusste nicht, was ihm fehlte. Er hatte viele Frauen, die ständig nörgelten, Söhne, die miteinander stritten, und Töchter, die schmollten. Zwar konnte er sich alles kaufen, was er nur begehrte, aber empfand indes keinerlei Zufriedenheit. Eines Morgens nach einer schlaflosen Nacht rief er seine Diener und sagte zu ihnen: ‘Macht euch auf die Suche nach einem wahrhaft glücklichen Mann. Wenn ihr ihn gefunden habt, bringt ihn zu mir. Ich will mich mit ihm unterhalten.’
    Die Diener suchten im ganzen Land und eines Tages stießen sie auf einen armen Hungerleider, der sang, während er aus einem kleinen Wasserloch Wasser für sein mageres Kamel schöpfte. Summend molk er das Tier und teilte die wenige Milch mit den Dienern des Sultans. Obwohl sein Magen leer war, lachte er und machte Scherze.
    ‘Bist du ein glücklicher Mann?’, erkundigten die Diener sich.
    ‘Weshalb sollte ich denn unglücklich sein?’, erwiderte er.
    ‘Bitte, dann komm mit zum Palast des Sultans’, bat der älteste Diener. ‘Mein Herr möchte dich gerne kennen lernen.’ Der Arme willigte ein, und sie reisten vom Haud bis in die große Stadt Mogadischu. So etwas hatte er noch nie gesehen. Es gab so viele Menschen, so viele Farben und Dinge, die man riechen und berühren konnte. Der Sultan bewirtete ihn reichhaltig mit wundervollen Früchten und Speisen, er gab ein üppiges Festmahl für ihn und überreichte ihm eine bestickte
goa
.
    ‘Was ist das Geheimnis des Glücks?’, fragte der Sultan schließlich und lehnte sich in seine weichen Kissen zurück. Der Arme wusste nicht, was er antworten sollte, seine Zunge war wie angewachsen, und er konnte nicht sprechen. Er hatte keine Ahnung, was ihn am Leben in der Wüste glücklich machte – es war einfach so. Enttäuscht schickte der Sultan ihn wieder weg, und der Mann kehrte zu seinem Kamel und zu seiner aus Holz geschnitzten Milchschüssel zurück. Aber nie vergaß er die Wunder im Sultanspalast – und er wurde nie wieder glücklich.«
    »Hiiyea«, sagte ich, weil mich die Geschichte überzeugte. Mohammed wandte das Gesicht ab und zog sich seine
goa
 über den Kopf.
    Die Nacht funkelte vor Sternen. Nirgendwo war ein Laut zu hören, nur köstliche Stille umgab uns. Überall sonst, wo ich gewesen bin, hört man irgendwelche Geräusche, Tiere, Stimmen, Straßenlärm. So still wie in der Wüste wird es nirgendwo. Irgendwann, nachdem alle Geschichten und Witze erzählt waren, ging ich mit Mama, Nhur und den Kindern schlafen. Vor dem Dorf heulte eine Hyäne auf; aber man braucht keine Angst vor ihr zu haben, weil sie niemandem etwas tut.
    Ich hatte schreckliche Träume und schlief nicht gut in dieser Nacht. Im Traum hatte ich mich mit meiner Mutter verlaufen, und wir waren kurz davor, zu verhungern und zu verdursten. Ich kletterte auf einen großen Hügel, von dem aus

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