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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Abzweigung spähte er vorsichtig in alle Richtungen. Er wurde
nicht beachtet, nicht behelligt, nicht bekämpft. Endlich
stand er wieder vor dem Grab. Er bückte sich und tastete mit
der Hand zwischen und unter den Efeublättern umher.
    Da hörte er hinter sich eine Stimme. »Deine Suche
ist längst vorbei. Du weigerst dich, dies anzuerkennen.
Warum hast du nur solche Angst vor dir? Soll ich es dir sagen?
Weil dein Leben eine Lüge ist.«
    Benno verharrte in gebückter Stellung. Er wagte nicht,
sich umzuschauen. Es war eine alte, uralte weibliche Stimme. Er
sagte nur leise: »Jedes Leben ist eine
Lüge.«
    Die Stimme ließ sich nicht beirren. »Denk an deine
Vergangenheit. Erinnerst du dich, daß du das Auto deines
Vaters ausgeborgt hattest, um eine deiner Spritztouren zu
machen?«
    Ja. Der weiße Ford Taunus. Wie so oft. Die Sonne stand
abendtief. Benno fuhr in den Norden Kölns, wo einige
verkümmerte Haine an Wald erinnerten. Dort wollte er
umherspazieren. Bereits auf der Hinfahrt hatte er bemerkt,
daß die Bremsen nicht einwandfrei funktionierten. Er blieb
lange im Wald. Und als wolle er sich von allen Tagen
verabschieden, beugte er sich dem roten Glutball entgegen, den
ein Wipfel aufgespießt hatte, für kurze Zeit nur, dann
senkte sich die Kühle des Frühherbstabends zwischen den
Stämmen zu Boden. Benno war zufrieden. Er liebte dieses
Bild, diese Stimmung, wie sie aus seiner Kindheit kamen, aus
glücklichen Zeiten. Und er wollte nie wieder in die
Gegenwart zurückkehren. Aber es blieb ihm keine Wahl.
Vorsichtig fuhr er zurück. Seine Mutter erwartete ihn mit
einem guten Abendessen, als hätte sie etwas zu
verbergen.
    »Warum hast du ihnen nichts von den defekten Bremsen
gesagt?«
    »Ich – ich hatte es vergessen.«
    »Und warum bist du am folgenden Tag nicht mit zu deiner
Großtante gefahren?«
    »Sie hat mir nie viel bedeutet.«
    »Hast du vergessen, daß sie deine Lieblingstante
war? Hast du vergessen, wie gern du sie besucht hast, wenn auch
nur wegen des vielen Geldes, das dich dort erwartete? Und es war
das erste Mal, daß deine Eltern ohne dich
fuhren.«
    »Ich hatte keine Zeit.«
    »Du hast den ganzen Tag zu Hause gesessen und auf die
Nachricht gewartet.«
    »Auf welche Nachricht?«
    »Auf die Nachricht ihres Todes. Und sie kam. Und du
tatest bestürzt. Aber du weißt selbst am besten, wie
es in deinem Innern ausgesehen hat.«
    »Aber ich habe doch gar nichts getan! Was konnte ich
denn dafür, daß die Bremsen defekt waren? Es
hätte mich tags zuvor genauso treffen
können!«
    Benno sprang auf, Tränen in den Augen. Hinter dem
Schleier glaubte er eine schwarze Gestalt zu sehen. Doch nein, es
war nur ein Baum. Wie hatte er sich so täuschen können?
Und welche absurden Gedanken hatte er da gehegt? Es war
natürlich Unsinn, er wußte es besser als diese
Schemen!
    Seine Erinnerungen waren schwarz. Wie eine Sturzflut brachen
sie durch den Damm des Vergessens. Doch es waren zu viele. Er
konnte sie nicht erkennen. Sie schmeckten verpestet, rochen wie
geöffnete Gräber, fühlten sich an wie klebrige,
weiche Rückstände einer unbekannten Masse. Er verlor
das Gleichgewicht und schlug schwer auf dem Grab auf. Efeu
verfing sich in seinen Haaren, und harte, uralte Wurzeln
schnitten ihm ins Fleisch. Der Efeu wurde rot. Dann kam die
Schwärze…
    Und er erwachte in Schwärze. In Schwärze und
Kälte. Blätter stachen ihm ins Gesicht. Wo war er? Der
Friedhof unter fahlem Mondlicht. Tautropfen glänzten an den
Gräsern, Tautropfen wie kleine Hohlwelten, Wasserwelten mit
Wasserwesen und Wassergedanken und Wasserleiden. Und er spiegelte
sich darin, wenn er nahe genug an sie herankam, wenn er klein
genug wurde. Er setzte sich auf. Nur vereinzelte Autos fuhren
vorbei, weit, weit fort. Obwohl doch die Straße nicht so
fern lag.
    Rascheln!
    Ein Eichhörnchen vielleicht. Benno konnte nichts sehen.
Er mußte vorsichtig sein, denn sicherlich fuhr auch auf
diesem Friedhof nachts eine Streife umher. Er durfte sich nicht
erwischen lassen. Es wäre das zweite Mal. Und da gäbe
es kein Pardon mehr. Und in der Tat: Bald sah er einen gelben
Lichtschein vor sich, noch weit entfernt, und er hörte das
Surren eines Dynamos, das Rollen eines Fahrrads. Schnell duckte
er sich in den Mondschatten eines großen Baumes, hielt den
Atem an und wartete. Das Fahrrad fuhr an ihm vorbei, langsam, als
wisse der Fahrer, daß sich hier jemand unbefugt herumtrieb.
Aber der Fahrer

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