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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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nehmen, so
hätte er damit sein eigenes Todesurteil ausgesprochen. Benno
leckte mit der Zunge über die spröden Lippen. Dann
lachte er meckernd. Also: Ein gutes, stämmiges Ende
mußte her. Aber er war so gefangen in den verborgenen
Bedeutungen der Erzählung für sein eigenes Leben,
daß er jeden Faden völlig verloren hatte. Also las er
alles, was er bisher verfaßt hatte, noch einmal. Er las bis
tief in die Nacht. Und er wunderte sich, weshalb diese Geschichte
ihn so verwirrt und geängstigt hatte. Sie enthielt nichts,
was auf seine Vergangenheit schließen ließ. Und das
war gut so.
    Am Ende der Geschichte konnte nur ein weiteres Rätsel
stehen. Wie ein Rausch ergriff es ihn, und er schrieb den
Schluß.
     
    »AUF DEM WEG in die Stadt – es war ja Samstag, und
ich mußte mich ablenken – hätte mich beinahe ein
Auto überfahren, als ich die Straße überqueren
wollte. Es hatte vollständig verdunkelte Scheiben. Ich
konnte mich nur mit einem gewaltigen Sprung in Sicherheit
bringen. Das nahm mir die Lust. Und dann bin ich wieder auf den
Friedhof gegangen, zu ihrer Ruhestätte. Welch ein falsches
Wort! Und ich sah sie. Alle vier. Sie standen um ihr eigenes Grab
herum. Sie versteckten sich nicht mehr vor mir. Ich lief
fort.
    Den ganzen Sonntag habe ich in meiner Wohnung verbracht, doch
ich begann Dinge zu sehen, die nicht da sind – die nicht
da sein dürfen! Als Sie am Montag dazukamen, wichen sie
ein wenig. Zuerst. Aber sie sind da und erwarten mich. Ich habe
ihr Geheimnis aufgedeckt, und ich weiß zuviel. Ich kenne
die Dimensionen, in denen sie sich bewegen. Ich will nicht davon
sprechen, was ich gestern geträumt habe. Geträumt, sage ich. Doch dies ist nicht der richtige
Ausdruck. Ich habe es gesehen. Und das wollte ich Ihnen
erzählen. Ich bin da in etwas hineingeraten, das für
immer verborgen bleiben sollte. Ich bin von meiner
Rätselsuche geheilt, das können Sie mir glauben!
Wieviel gäbe ich darum, alles ungeschehen zu
machen!«
    Er sah mich an. Ich konnte den Ausdruck seiner Augen nicht
deuten.
    »Sie glauben vielleicht, ich sei nicht ganz richtig im
Kopf. Es wäre schön, wenn Sie recht hätten. Aber
diese Nonnen haben mir gezeigt, was mich erwartet. Damit
möchte ich Sie nicht erschrecken. Sie mußten sich
schon genug anhören.«
    Er winkte die Bedienung heran und zahlte für uns beide.
Wir standen auf und gingen nach draußen. Ich bot ihm an,
ihn nach Hause zu fahren, doch er lehnte ab. Er sagte, er wolle
mich nicht noch tiefer mit hineinziehen. Noch tiefer? fragte ich mich. Ich schaute ihm nach, wie er zur Bushaltestelle
ging. Der Bus kam, er stieg ein und fuhr an mir vorbei. Hinter
ihm sah ich eine Nonne sitzen, und sie grinste mich an. Mich!
    Das war vorgestern.
    Gestern morgen ist Hartmut Schwartz nicht zur Arbeit
erschienen. Als ich vor den Sensenmann trat, sah ich, daß
seine Sense fehlte. Und vor dem Grab war eine kleine Blutlache.
Ich weiß nicht, ob es Menschenblut war; es war auch nicht
viel. Ich frage mich, wo die Steinsense hingekommen ist. Die
Leute stehlen alle möglichen Sachen, nicht wahr? Und hier
muß jemand die mit dem restlichen Steinkörper
verbundene Sense sorgsam ausgebrochen und die Bruchstelle so
nachbearbeitet haben, daß sie nicht mehr zu erkennen ist.
Wer sollte so etwas tun?
    Auch heute habe ich nichts von meinem Kollegen gesehen oder
gehört. Ich habe meinem Chef Bescheid gesagt, und er hat
nachgeforscht. Doch zu Hause war Schwartz auch nicht. Er scheint
verschwunden zu sein.
    Es ist schon seltsam, wie einen solch eine Geschichte
gefangennehmen kann, und ihr müßt zugeben: Es ist
schon eine verwirrende Geschichte. Seit vorgestern bilde ich mir
ein, auf der Straße, in Cafes oder in Bussen, in
Geschäften und an allen möglichen und unmöglichen
Stellen eine oder mehrere Nonnen zu sehen. Verrückt, nicht
wahr? Aber jetzt will ich zu erzählen aufhören, denn
ich habe starke Kopfschmerzen – schon den ganzen Tag.

Es war weit nach Mitternacht. Benno fühlte eine ungeheure
Euphorie. Das Ende war stimmig, und es hatte nichts mit ihm zu
tun. Es war nicht sein eigenes Ende. Noch nie hatte ihn eine
Erzählung derart mitgenommen. Und noch nie hatte jemand
angedeutet, daß er über sich selbst schriebe. Doch nun
war der Spuk vorbei, er hatte gesiegt. Hochzufrieden ging er zu
Bett. Lange konnte er nicht einschlafen. Er dachte über
seine Recherchen nach, über die Kladde, von der er nicht
mehr sagen konnte,

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