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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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aber hinzu, daß es schon zu spät sei,
Besuch könne nicht mehr geduldet werden. Erst als ich den
zuständigen Arzt zu sprechen verlangte, lenkte sie ein.
›Nunja‹, sagte sie. ›Ihr Zustand ist stabil.
Eigentlich kann ein kurzer Besuch nicht schaden,
aber…‹
    ›Ach, Sie kennen sie persönlich?‹ fragte
ich.
    ›Ja‹, sagte sie. ›Adelgundis ist eine
ruhige alte Dame, die weniger aus therapeutischen Gründen
noch hier ist, sondern weil sie niemanden hat, bei dem sie leben
könnte. Ihr Orden will sie nicht mehr. Meistens sitzt sie in
ihrem Rollstuhl und starrt vor sich hin, aber manchmal spricht
sie sogar ein paar Worte. Ich habe mir sagen lassen, daß
dieser Zustand schon fast zwanzig Jahre anhält. Sie scheint
weder für sich noch für andere eine Gefahr zu sein. Sie
hat noch nie Besuch bekommen.‹
    Ich nahm die Gelegenheit beim Schopfe und sagte: ›Ich
bin ein entfernter Verwandter und habe lange Zeit im Ausland
gelebt. Erst jetzt habe ich zufällig von ihrem Schicksal
erfahren und mich direkt auf den Weg hierher gemacht. Es war
leider nicht möglich, daß ich früher eintraf. Sie
verstehen, die öffentlichen Verkehrsmittel…‹
Ich sah in den Augen der jungen Frau, daß ich gewonnen
hatte. Sie rief einen Pfleger, der mich zu Adelgundis
führte.
    Sie saß in einem Rollstuhl in einem kleinen Zimmer, in
dem außer einem alten Schrank nur ein Tisch und ein
Krankenbett standen. Der Pfleger ließ mich mit ihr allein.
Nichts an Adelgundis deutete darauf hin, daß sie mich
wahrnahm. Sie stierte in imaginäre Fernen und saß wie
eine Leiche in ihrem Stuhl. Nur ihr schmaler, zusammengekniffener
Mund bebte. ›Schwester Adelgundis?‹ sagte ich.
Keine Antwort. ›Können Sie mich hören?‹
Keine Antwort. ›Ich bin zu Ihnen gekommen, weil ich Sie
über Ereignisse befragen möchte, die schon zwanzig
Jahre zurückliegen. Erinnern Sie sich an das
Franziskuskloster?‹
    Ich vermeinte zu erkennen, daß ihre Lippen stärker
zitterten. Mutig ging ich einen Schritt weiter. ›Was ist
an jenem Tag passiert, als vier Ihrer Mitschwestern verbrannten?
Was haben Sie gesehen?‹
    Zum ersten Mal bewegte sie sich. Sie schaute mich an, und tief
in ihren Augen spiegelte sich so etwas wie eine Erinnerung an
jenen schauerlichen Tag. ›Sie sind Zeuge eines gewissen
Rituals gewesen?‹ setzte ich nach. ›Ich habe im
Tagebuch der Schwester Hildemarga gelesen.‹
    Ihre Lippen bebten nicht mehr. Sie waren leicht geöffnet,
und ein Laut wie ein unterdrücktes Blubbern quoll zwischen
ihnen hervor. Er ging über in ein Grollen, die Lippen
öffneten sich weiter, und das Grollen wuchs zu einem Schrei,
einem Schrei, der aus den Tiefen der Hölle kam. Sie
rührte sich nicht, nur der Schrei schien zu leben. Er
schwoll an und schwoll an. Er erfüllte die Welt, nichts
konnte daneben noch bestehen.
    Ich hörte nicht, wie der Pfleger hereinstürzte, wie
er die Nonne anbrüllte, ich sah nicht, wie Entsetzen in
seine Augen trat; dieser Schrei sog die Wärme aus dem Zimmer
und hinterließ Eiseskälte, in der wir zu gefrieren
drohten. Ich riß mich zusammen und hastete aus dem Zimmer,
noch auf dem Gang verfolgte mich der Schrei. Niemand hielt mich
auf, die Rezeption war jetzt unbesetzt, ich lief einfach fort,
fort, nur fort, irgendwo fand ich ein Taxi, irgendwie gelang es
mir, dem Fahrer mein Ziel klarzumachen, er fuhr mich zum Bahnhof,
lange stand ich auf dem Bahnsteig, allein, schwarze Schemen
flanierten auf und ab, und das Zischeln setzte wieder ein, es
verließ mich während der ganzen Fahrt nicht.
    Früh am nächsten Morgen rief ich die Landesklinik an
und erkundigte mich nach Schwester Adelgundis. Man wollte
unbedingt meinen Namen wissen, wollte wissen, was ich der alten
Frau angetan hätte, beschwor mich, daß ich mich
offenbarte, und endlich erfuhr ich, daß sie während
ihres Anfalls gestorben war. Ich legte auf.«

Nun war jeder Weg zur Erfahrung blockiert. So mußte es
sein. Jetzt konnte die Hauptperson, der Held, nichts weiter
herausfinden. Er war gerettet.
    »Es gibt keine Rettung.«
    Wer hatte das gesagt?
    Er selbst?
    Warum belog er sich?
    Nun, die Geschichte mußte ein Ende haben. Wenn er sie im
Sande verlaufen ließ, würde niemand Gefallen an ihr
finden. Und sie sollte doch veröffentlicht werden. Sie
sollte der Grundstein sein für seinen Weg nach oben als
Schriftsteller. Er würde sie dem Verleger präsentieren,
und wenn er nicht geneigt sein sollte, sie zu

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