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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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stieg nicht ab. Endlich war er verschwunden.
    Aufatmend kam Benno aus dem Schatten hervor. Da stand jemand.
Eine hohe schwarze Person. Sie sagte: »Du wirst nicht mehr
lange Glück haben.«
    »Habe ich schon jemals Glück gehabt?«
    »Mehr, als du weißt.«
    »Wer bist du?«
    »Deine Führerin. Ich werde dich dorthin
führen, wo du hingehörst. Warte es ab.«
    Und sie war verschwunden.
    Benno ging zur Umfassungsmauer. Sie war zu hoch für ihn.
Er war bis zum Morgen eingesperrt. Der Mond wurde von Wolken
verschluckt, und es begann zu regnen. Benno entsann sich des
Mausoleums mit dem Bäumchen auf dem Dach, ging vorsichtig
dorthin. Niemand begegnete ihm. Er setzte sich auf die kalte
Steinbank und war bald eingeschlafen. Seine Träume waren
wirr. Vergangenheit, unmögliche Gegenwart, schwarze Zukunft.
Der Morgen weckte ihn. Schritte, die an ihm vorbeigingen, ein
Gesicht, das ihn angewidert anblickte. Er rappelte sich auf,
streckte die kalten Glieder und ging sofort zum Büro.
    Natürlich kam er zu spät. Ungewaschen und unrasiert,
wie er war, bot er sicherlich einen seltsamen Anblick. Er konnte
sich selbst davon überzeugen, als er an der Spiegelfassade
des großen Gebäudes entlangging. Sein Chef ließ
ihn zu sich kommen und machte ihm Vorhaltungen. Benno hatte in
den vergangenen Wochen etliche Fehlentscheidungen getroffen. Es
machte ihm nichts aus, abgekanzelt zu werden, er wünschte
sich nur fort, fort nach Hause, um in seiner Geschichte
verschwinden zu können, um sich wieder an ihr aufzurichten
und die verrückten Erinnerungen wegzudrängen. Und er
saß vor seinen Akten und träumte von der Entwicklung
der Geschichte. Aber als er dies tat, wurde ihm wieder
bewußt, wie viel sie mit seiner eigenen Vergangenheit zu
tun hatte. Verfluchter Verleger! Er hatte eine Lawine
losgetreten, er hatte Benno aus seiner paradiesischen Unschuld
herausgerissen und ihn in die Gosse gedrängt. Schande
über diesen Kerl! Man sollte ihn umbringen, ihn zertreten
wie ein lästiges Insekt!
    Dieser Gedanke gefiel Benno immer besser, und nur die
literarische Arbeit hielt ihn von der Überlegung ab, wie er
einen perfekten Mord begehen könne. Vielleicht ließ
sich der alte Zustand doch wiederherstellen. Es fiel ihm schwer,
sich auf die Handlung zu konzentrieren. Wo war er
stehengeblieben? Bei der Suche nach der fünften Schwester,
bei der Fahrt nach Düren zur Landesheilanstalt. Zu einem
unheimlichen Ort, an dem sich alle Grenzen vermischten. Er
saß im Zug, sah die Sitze, die vorbeihuschende Landschaft,
fühlte die Sonne auf seiner Haut. Doch irgend etwas stimmte
nicht.
     
    »ZUERST DACHTE ICH, es sei ein geöffnetes Fenster
oder ein knirschender Sitz. Aber was da hinter mir ertönte,
war ein eindeutiges Zischeln. Es war unendlich leise, und doch
verstand ich es so deutlich, als würde es direkt in mein Ohr
geflüstert. Es war eine weibliche Stimme; manchmal vermeinte
ich auch weitere Stimmen zu hören, und sie verfluchten und
verwünschten mich mit Worten, die ich nicht wiedergeben
kann. Ich sprang auf, warf meine Angst fort, drehte mich
blitzschnell um – doch da saß nur ein älterer
Herr, der mich verdutzt anschaute. Verwirrt kehrte ich auf meinen
Platz zurück. Das Zischeln setzte wieder ein. Ich versuchte,
mir die Ohren zuzuhalten, doch es nützte nichts. Das
Zischeln war in mir!«

So war es. »Du glaubst, du kannst mir entkommen, wenn du
dich in deine Phantasiewelten begibst. Aber es gibt keine
Phantasie. Es gibt nur Spiegelungen der Realität. Phantasie
ist die Übersetzung der Realität, nur eine andere
Sprache für dieselben Dinge.« Benno drückte so
heftig auf den Kugelschreiber, daß seine Hülle
splitterte. Im Blatt war nun ein Loch. Er warf den Stift fort und
hielt sich die Ohren zu. Dann holte er einen neuen
Kugelschreiber, die Stimme war verstummt.
    Damit dies so blieb, schrieb er weiter.
     
    »DÜREN! ICH SPRANG aus dem Zug, nahm mir ein Taxi,
das Geld war mir gleichgültig. Ich konnte die Stimmen erst
abschütteln, als ich in das Foyer der Landesklinik trat. Ich
fragte nach Schwester Adelgundis, und die junge Frau am Empfang
teilte mir freundlich mit, daß niemand dieses Namens in der
Klinik beim Pflegepersonal arbeite.
    ›Doch nicht als Krankenschwester!‹ rief ich
ungeduldig. ›Ich meine eine Patientin, eine Nonne aus dem
Orden der…‹
    Die junge Frau blätterte in engbedruckten
Computerauszügen. Dann teilte sie mir die Zimmernummer mit,
fügte

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