Nonnen
fertigmachen! Ich
glaube nicht an eure Märchen! Da habt ihr euer Geschmier
zurück!« Und er warf die Kladde mitten in das Efeu auf
dem Grab.
Er traute seinen Augen nicht.
Durch das Efeu ging eine Wellenbewegung, als würfe sich
die Erde auf, und die Kladde versank immer tiefer in dem gierigen
Grün. Dann war sie verschwunden. Jetzt hatten die Hexen ihr
Eigentum zurück. Jetzt würden sie Ruhe geben, und er
konnte getrost seine Geschichte vollenden.
Aber begreifst du denn nicht, was da gerade passiert
ist?
Das durfte nicht sein! Benno kniete nieder und fuhr mit den
Fingern durch das Efeu, wühlte die Erde darunter auf, bis er
unsanft am Kragen gepackt und hochgezerrt wurde. Er drehte sich
um. Ein Friedhofswärter stand hinter ihm. »Und das am
hellichten Tage! Ihr werdet auch immer dreister. So, und nun
kommst du schön mit, mein Lieber.« Er packte Benno am
Arm und schleifte ihn zum Wärterhäuschen am Eingang. Er
wurde dazu genötigt, sich auf einen wackligen Stuhl zu
setzen, und der Wärter sagte: »Bevor ich die Polizei
rufe, hast du Gelegenheit, mir zu sagen, was du da gemacht
hast.«
Benno erklärte ihm alles. Die Augen des Wärters
wurden immer größer. Dann sagte er: »Eigentlich
sollte man dich in die Klapse stecken. Aber nun mach, daß
du Land gewinnst, bevor ich es mir anders überlege. Und vor
allen Dingen, laß dich bloß nicht noch mal
erwischen!« Benno senkte demütig die Augen, denn er
verstand allzugut, daß der Friedhofswärter im
Augenblick Macht über ihn hatte. Er stand auf und ging
gemessenen Schrittes davon, um jedem, der das sah, zu zeigen, wer
in Wirklichkeit in die Klapse gehörte. Irgendwie aber sollte
er dem Wärter auch dankbar sein, denn er hatte Benno auf
eine weiterführende Idee gebracht.
Als er vor dem bisher Geschriebenen saß und es durchsah,
wunderte er sich wieder über die eigenartige Vermengung der
beiden Realitäten, der in seiner Geschichte und der seines
Lebens. Sollte der Verleger doch recht gehabt haben? Waren alle
seine literarischen Versuche nur Schritte hin zur Lösung
eines großen Rätsels, eines Rätsels, das er
selbst war? Er wußte etwas über sich selbst, aber er
wußte nicht, was es war. Um nicht an seinen Gedanken zu
zerschellen, schrieb er weiter. Die Buchstaben, die Wörter
waren ein Gerüst, an dem er sich aufrichten und wieder zu
sich selbst finden konnte.
»NUN WAR ICH endgültig am Ende. Das Tagebuch war
verschwunden, und es bestand keine Möglichkeit, es
zurückzubekommen. Traurig ging ich nach Hause. Ich machte
mir einen Kaffee und grübelte. Dann schaute ich mir im
Fernsehen einen Film an. Darin tauchten plötzlich vier
Nonnen auf, die mit einem bösen Grinsen in die Kamera
schauten. Ich war der platten Handlung nicht gefolgt, daher
weiß ich nicht, ob die Schwestern etwas in dem Film zu
suchen hatten, aber ich fürchtete mich vor ihnen. Sie wurden
ausgeblendet und kamen nicht mehr vor.
Am nächsten Morgen wachte ich mit rasenden Kopfschmerzen
auf, die mich den ganzen Tag über nicht verließen.
Irgend etwas war in der Nacht, im Traum geschehen. Ich kann es
Ihnen nicht beschreiben, weiß es selbst nicht mehr. Aber
ich weiß, daß ich noch nie, nicht im wachen und nicht
im schlafenden Zustand, eine solche Angst gefühlt hatte wie
in jener Nacht. Und auch die Arbeit machte mir angst. Mehr als
einmal hörte ich es hinter mir rascheln, doch als ich mich
umdrehte, war es still. Der Sensenmann lachte dazu, als wisse er
genau, was da vorging. Ich wollte mich nicht mehr mit dem
Rätsel befassen, es war im wesentlichen gelöst, und was
die Einzelheiten anging, so konnte ich nicht weiterkommen.
Plötzlich erinnerte ich mich an die Tagebucheintragung,
der zufolge eine weitere Schwester in eine der Zeremonien
geplatzt war. Was wäre, wenn ich sie ausfindig machen
könnte? Ich sträubte mich gegen diesen Gedanken, ich
weiß nicht warum. Aber wahrscheinlich war mir
unbewußt schon einiges klar. Dennoch hatte sich die
Überlegung in mir festgesetzt. Aber am gleichen Abend konnte
ich nichts mehr unternehmen, die Kopfschmerzen waren zu arg. Als
ich zur Pforte ging, sah ich eine in Schwarz gekleidete Frau; sie
hatte so schnell meinen Weg gekreuzt, daß ich nicht sagen
kann, ob sie im Habit war. Ich sagte mir, daß dies ein
klassischer Fall von selektiver Wahrnehmung sei, ich sah nur noch
das, womit meine Gedanken sich intensiv beschäftigten. Dann
kam der Schrei. Es war ein Schrei,
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