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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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da.
    Herrscher über den Tod.
    Er kicherte.
    Schließlich kniete er nieder und nahm mit der hohlen
Hand Wasser auf. Er spritzte es sich in die Augen, damit es wie
Tränen aussah, und er mußte den Triumph
hinunterschlucken, damit der ihn nicht verriete. Er
räusperte sich, begann zu heulen und zu schreien. Bald
würden der Lehrer und die ganze Affenschar
anrücken.
    Welch ein Gefühl des Glücks. Wie gern hätte er
ihnen erzählt, daß er seinen Peiniger im Kampf
getötet hatte. Doch das war nicht möglich. Das war
nicht gut. Niemand durfte von seinem Sieg erfahren. Jeder sollte
annehmen, daß es ein Unfall war. Und so geschah es. Sie
kamen alle angelaufen, und das Bild verblaßte.
    Benno war wieder allein – allein mit der Gestalt im
Lehnstuhl.
    »Du hast zu dir zurückgefunden.
Willkommen.«
    Bennos Augen füllten sich mit Tränen.
»Nein!« schrie er. »Das bin ich nicht, das ist
ein anderer.«
    »Glaub es… glaub es nicht… Die Wahrheit
kennst du nun«, sagte die Gestalt.
    »Ich träume!«
    »Nein. Zum ersten Mal in deinem Leben träumst du
nicht.«
    Die Gestalt erhob sich und kam langsam auf ihn zu. Er konnte
sich nicht bewegen, vielleicht wollte er es auch nicht. Da stand
sie vor ihm. Sie hatte kein Gesicht. Dort wo die Augen, die Nase,
der Mund hätten sein sollen, war nichts als eine teigige
Masse. Und doch sprach sie.
    »Komm!« sagte sie. Und ihr Arm hob sich. Ihre Hand
war lang. Ihre Finger waren lang, lang wie Spinnenbeine. Sie
faßte Benno am Arm. »Es ist endlich vorüber. Du
bist daheim. So schlimm es nun auch für dich werden wird, so
ist es doch nichts im Vergleich dazu, was du schon durchgemacht
hast. Es gibt nur einen kleinen Unterschied. Was kommt, wird ewig
sein.«
    Sie faßte seinen Arm fester und zog ihn zum Fenster. Er
ließ es geschehen. Da sah er, daß es kein Fenster
war. Es war eine verglaste Tür. Als sie sie beinahe erreicht
hatten, schwang sie auf. Ein seltsamer, leiser Lärm drang
heraus, und er wurde von einem atemnehmenden Gestank
begleitet.
    »Wohin führst du mich?« fragte Benno.
    »Nach Hause. In deine Hölle«, sagte die
Gestalt.
    Sie schritten weiter, betraten den Schlund, und die Tür
schloß sich hinter ihnen…
    Am nächsten Morgen erschien Benno Durst nicht im
Büro.
    Und auch nicht am darauffolgenden Tag.

 
     
     
DIE FARBEN
DER NACHT
     
Ein Bilderbogen

 
Erstes Bild
IN DER NACHT,
IN DER FREMDE
     
     
    Nichts war ungewöhnlich an diesem Ort. Nichts außer
dem unausweichlich wiederkehrenden Gefühl einer beklemmenden
Unruhe, die mich jedesmal überfiel, wenn ich in die
Nähe dieses Ortes kam. Mir wurde schnell bewußt,
daß es nicht seine äußere Erscheinung war,
welche die Beklemmung und die Unruhe auslösten, denn es war
nichts als eine struppige Wiese, eingegrenzt von
lückenhaften, kranken Fichten und umzäunt von einem
niedrigen Holzgatter, von dem viele verfaulende Bretter
abgefallen waren und nun wie zerbrochene Kompaßnadeln im
wuchernden Gras lagen und in die verschiedensten Richtungen
wiesen. Dieser Zaun wiederum wurde sowohl an seiner Vorderseite
als auch an seiner Rückseite von Bürgersteigen
frankiert, von frostbeuligen, unkrautbefallenen, verwahrlosten
Bürgersteigen, die entlang zweier nie befahrener
Straßen in die Verwirrung der Stadt hineinführten,
entlang der stillen Straßen in die stille Stadt hinein,
aber nicht wieder aus ihr heraus. An den übrigbleibenden
beiden Seiten der fichtenbewachten, struppigen Wiese erhoben sich
hohe Wohnhäuser mit leeren, ausgehöhlten Fensteraugen,
aus denen in rauhen, mondlosen Nächten der Wind über
die Straßen und die Fichten wisperte. Ich habe diesen Wind
oft wispern hören, er murmelte zu sich selbst,
selbstvergessen. Nein, es war kein ungewöhnlicher Ort, und
doch fröstelte mich jedesmal, wenn ich ihn sah.
    Beinahe jeden Tag kam ich dort vorbei, immer zur selben Zeit,
im Sommer unter einer stillen Sonne, im Winter unter einem
stillen Mond. Ich sah die mageren Fichten wie Finger vor dem
Himmel, grüne Finger und schwarze Finger, und ich sah die
Masse der Häuser und den dunklen Fleck der Wiese, die wie
ein Weiher dalag, und manchmal glaubte ich sogar die Sonne oder
den Mond sich darin spiegeln zu sehen. Dieser Ort war wie ein
gefrorenes Atemholen auf meinem Weg von der Arbeit in einem
Vorort der grauen und heruntergekommenen Stadt hin zu meiner
Behausung in einem anderen der gleichförmigen Vororte. Die
Stadt schien nur aus solchen

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