Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
Vom Netzwerk:
allein.
     
    Ich kam zu mir, aber die Schwärze blieb. Vor Entsetzen keuchte ich auf. Riss die Augen auf, aber es blieb dunkel. Ich bin blind, dachte ich panisch, ich kann nichts sehen!
    L angsam gewöhnten die Augen sich an die Dunkelheit und ich erkannte, dass es einfach nur finster war, stockfinster. Wenn ich mich sehr anstrengte, konnte ich ganz schwache Konturen ausmachen. Ich setzte mich vorsichtig auf und stellte fest, dass an meinem Hals etwas drückte, als ich mich bewegte. Ich hob die Hände und befühlte mit den Fingern, was mich da einengte. Ich spürte ein Band, Leder vermutlich, und etwas, das von dort weiter führte. Ich ließ meine Finger die Schnur entlang gleiten. Vorsichtig stand ich auf und folgte der Schnur weiter, bis ich einen metallenen Haken fand, der über meinem Kopf fest in der Wand befestigt war. Ich war angeleint, wie ein Hund.
    So sehr ich auch an der Schnur zog oder zerrte, ich konnte sie weder zerreißen noch den Haken aus der Wand bewegen. Mein Bewegungsspielraum war gering. Ich rutschte rückwärts an der Wand entlang und ertastete die Umgebung, so weit meine Arme reichten.
    Es war unbegreiflich, wie ich in diese Lage geraten konnte. Es konnte nur ein böser Traum sein. Ich weigerte mich schlicht, meine Lage als Tatsache anzuerkennen. Wenn ich das tat, dann würde ich nur noch schreien. Angst. Panik. So etwas passierte nicht, nicht in der Wirklichkeit. Niemand leinte einen in einem dunklen Erdloch an.
    Ich hasste die Dunkelheit. Schon immer. Als Kind hatte ich mich stets gefürchtet, allein in den Keller zu gehen, wo es schlecht ausgeleuchtete Winkel gab. Selbst mit Hedda, der kleinen Schwester an meiner Seite, war es besser, als allein zu sein.
    Vor vielen Jahren hatte ich mit Daniel zusammen einen Kinofilm gesehen, wo eine Frau entführt worden war, von irgend so einem Irren . Dann war ihr Freund kreuz und quer durch das Land gefahren, hatte sie jahrelang gesucht, aber er hatte sie niemals wieder gefunden. Und am Ende war er dem irren Entführer auf die Schliche gekommen, dieser überwältigte ihn und begrub ihn schließlich bei lebendigem Leib in einer Kiste oder einem Sarg, und der Freund hatte erkennen müssen, dass er nun den gleichen Tod sterben würde wie das Mädchen Jahre zuvor …
    Nach dem Film hatten mich wochenlang Alpträume gequält, in denen ich gemeint hatte, selbst lebendig begraben sein. Ich lag jetzt zwar nicht in einer Kiste, aber ich befand mich ganz offensichtlich unter der Erde. Die Wände waren, soweit ich es ertasten konnte, aus groben Steinen gemauert. Es war kalt und feucht.
    Wenn ich die Arme weit zur Seite ausstreckte, konnte ich die beiden Wände rechts und links von mir ertasten, die andere, gegenüberliegende Seite erreich te ich nicht. Die Länge der Leine reichte gerade aus, dass ich mich in der Nähe der Wand mit dem Haken hinsetzen oder hinlegen konnte.
    Als ich nichts Neues mehr ertasten konnte, versuchte ich mich zu erinnern, was zuletzt geschehen war. Wenn ich nicht wahnsinnig werden wollte, dann musste ich nachdenken. Denk nach, sagte ich mir, bleib ganz ruhig. Denk nach. Das Bett. Uta Simoni. Thönges und der Kaninchenstall.
    Und dann? Ich wusste noch, wie ich in den Käfig gegriffen hatte, um das weiche, warme Fell zu streicheln. Dann war ich weggelaufen. Warum? Und warum, um Himmels Willen, hatte er mich in dieses Loch gesteckt? Die Furcht schnürte mir die Kehle zu. Ich konnte nicht einmal auf und abgehen, um der aufsteigenden Panik wenigstens körperliche Bewegung entgegenzusetzen.
    Wie dumm konnte man eigentlich sein , allein zu diesem abgelegenen Gehöft zu fahren. Was hatte ich nur angerichtet? Ich dachte an Oliver. Wie spät mochte es sein, ab wann würde man mich vermissen? Was, wenn Oliver erst spät in der Nacht nach Hause kam? Wie lange konnte es dauern, ehe er mich fand?
    Da kam der schreckliche Moment der Erkenntnis: Niemand konnte auch nur ahnen, wo ich war. Ich hatte niemandem etwas von meiner Unternehmung gesagt , hatte keinen Zettel auf dem Küchentisch hinterlassen, wie Oliver und ich es sonst meistens taten, wenn einer von uns spontan das Haus verließ und der andere noch schlief oder nicht da war. Ich hatte keine SMS geschickt.
    Das Handy. Ich tastete den Fußboden ab, bis das Halsband mir fast die Luft abschnürte. Keine Tasche. Es wäre auch zu schön gewesen, wenn der Kerl mir die Umhängetasche gelassen hätte, mit Handy und allem. Aber wahrscheinlich hätte ich hier unten ohnehin keinen Empfang gehabt.
    Ob man das

Weitere Kostenlose Bücher