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Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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und dass es sein musste. Der Blutfluss musste gestoppt werden.
    « Ich mache es heil. Das geht ganz leicht.»
    Ich streifte die Schuhe von den Füßen. Dann hob ich den Kopf und starrte Thönges in die ausdruckslosen Augen. Jetzt oder nie.
    « Lass mich hier bleiben. Dann mache ich es dir heil.»
    Einen Augenblick lang glotzten wir uns an. Ich versuchte, meinen Blick dem seinen anzupassen. Ausdruckslos und unbewegt. Das konnte jetzt schiefgehen, für die Frau oder für mich, oder für uns beide.
    Thönges sah zuerst beiseite. Ich hatte gewonnen. Für den Moment jedenfalls. Was das auch immer zu bedeuten hatte. Mein Herz schlug so heftig, dass ich meinte, er müsste es hören können.
    Ohne ein weiteres Wort setzte er sich in Bewegung und zerrte mich zum Fenster. Mit zwei Handgriffen hatte er meine Kette am Heizungsrohr befestigt. Das Schloss schnappte ein. Ich sah den Schlüssel in der vorderen Tasche seiner Arbeitshose verschwinden. Das Blut an seinen Händen schien Thönges nicht zu stören. Ich unterdrückte den aufsteigenden Brechreiz und hockte mich zu der Frau. Versuchte, nur noch durch den Mund zu atmen und nicht an das zu denken, was ich sah und was ich tat. Es ist nichts. Es ist nichts, dachte ich.
    « Ich mache dich jetzt heil», sagte ich und versuchte, sie mit meinem Blick zu beschwören: Halt still, lass mich machen.
    Was auch immer sie verstand, sie musste einfach stillhalten. Ich rollte mir einen Strumpf vom Fuß und bohrte die Finger hinein. Ich bohrte und riss, bis ich den Strumpf auseinanderreißen konnte. Wie gut, dass die Hacke schon dünn gewesen war. Das Stück, dessen Größe mir am geeignetsten erschien, rollte ich fest zusammen. Ich kniete mich zwischen die Beine der Frau und schob ihren sackartigen Kittel hoch. Wie ich mir gedacht hatte, trug sie nichts darunter. Das Blut floss ungehindert an ihren Schenkeln herunter. Ich nahm die Hand der Frau. Sie starrte mich an. Jetzt erkannte ich, dass sie durchaus bei Verstand war. Ich sah ihr Entsetzen, aber ansonsten war der Blick klar.
    « Ich bin Nora», flüsterte ich, als ich mich über sie beugte und das Stoffröllchen in sie hinein schob.
    Dann wandte ich mich zu Thönges um. Der stand da über uns, das Gesicht ausdruckslos wie immer. Zum ersten Mal sah ich die dünne Narbe an seinem Kinn. Ein feiner, weißer Strich. Ich spürte, dass meine Tat etwas verändert hatte, mehr als dass ich die Menstruation der Frau am Fließen gehindert hatte. Kaum spürbar vielleicht, doch das Gleichgewicht hatte sich verändert. Zwischen Thönges und mir. Ich hatte etwas getan, das ihm nützte. Ich hatte es heilgemacht. Was das auch immer für ihn bedeutete. Und was auch immer er getan hatte, dass er meinte, die Frau verletzt zu haben, es konnte ja nur ein sexueller Übergriff gewesen sein. Und dann hatte er sich selbst gescholten für das, was er getan hatte. Vielleicht war es zu viel erwartet, wenn ich jetzt auf so etwas wie Dankbarkeit oder Anerkennung hoffte. Thönges begriff ganz offensichtlich nicht einmal, was es mit dem Blutfluss auf sich hatte.
    Wie auch immer, ich hoffte zumindest auf ein Entgegenkommen, und sei es nur, weil ich mich jetzt um es kümmerte. Ich würde auch das Blut beseitigen, damit es Thönges nicht mehr störte. Den Würgereiz weiter niederkämpfen. Nicht an meine Finger denken, die nun auch rot gefärbt waren. Es ist nur Blut, sagte ich mir, besser so als …
    « Gib mir Wasser und ein paar Tücher. Ich mache … es sauber.»
    Thönges wandte sich um und ließ uns da hocken. Es roch nach Blut. Nein, es stank nach allem Möglichen. Die Frau stank und ihre Matratze und ich vermutlich kaum weniger. Über die Ausdünstungen lagerte sich nun der metallische Geruch. Mir war übel. Ich wusste nicht, wie viel Zeit wir hatten. Reiß dich zusammen, Nora, dachte ich.
    « Wer bist du?», flüsterte ich. «Und wie lange bist du schon hier?»
    « Marita», flüsterte sie zurück. «Ich weiß nicht genau, ein paar Wochen vielleicht, zwei oder drei.»
    « Oh Gott.»
    « Und du?»
    « Zwei Tage, nicht mehr als drei, denke ich. Warst du auch im Loch?»
    Sie nickte.
    «Wir müssen unbedingt zusammenbleiben. Lass mich machen, ja?»
    Sie nickte erneut. Schlapp und mutlos. Aber sie hatte mich verstanden.
    Als Thönges zurückkehrte, stand ich auf und nahm den Eimer entgegen. Er sah so aus wie der Eimer, den ich zuerst für mein Trinkwasser erhalten hatte. Vielleicht war es derselbe.
    Der Eimer war halbvoll mit Wasser gefüllt. Ich streckte die Hand nach

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