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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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alles andere als gut in Form.
    Als ich eintrat, schlug mir ein Schwall kalter Luft entgegen. Die Tasche setzte ich im Flur neben der Garderobe ab und ging geradeaus in das Wohnzimmer. Ein Fenster war angekippt, deshalb also die Kälte. Jetzt fiel mir wieder ein, wie ich dort gewartet und im Stehen geraucht hatte, als Hedda und Marc klingelten. Und dann hatte ich in der Eile wohl vergessen, es zu schließen. Eigentlich rauchte ich nicht oder nicht mehr, doch für besonders stressige Situationen hatte ich immer eine Schachtel vorrätig und das bevorstehende Weihnachtsessen bei Mutter zählte eindeutig dazu. Mit vierzehn oder fünfzehn Jahren hatte ich angefangen zu rauchen, doch Daniel zuliebe hatte ich es aufgegeben. Er konnte den Geruch in den Kleidern und im Haus nicht ertragen, doch hier war ich niemandem mehr Rechenschaft schuldig.
    Ich schloss das Fenster, drehte die Heizung neben der Balkontür voll auf und trug die Untertasse mit der zurückgelassenen Zigarettenkippe in die Küche. Nun, eine richtige Küche war es nicht, mehr eine offene Küchenzeile. Ich erwähnte wohl schon, dass meine Dachgeschosswohnung, die in der Annonce hochtrabend Loft genannt worden war, vollständig renoviert war. Nicht gerade edel, aber schlicht und modern. Der Fußboden bestand aus Laminat, was zwar nicht so schön war wie echtes Holz, aber der honigfarbene Farbton gefiel mir trotzdem gut. Die Wände waren etwas einfallslos weiß gestrichen, daher hatte ich mir beim Einzug vorgenommen, das Ganze bei nächster Gelegenheit mit einer kräftigen Farbe aufzupeppen. Diese Gelegenheit hatte sich bisher noch nicht ergeben und so wie ich mich im Moment fühlte, würde wohl in naher Zukunft auch nichts daraus werden. Egal, sagte ich mir, das kann warten. Vermutlich würde ich ja ohnehin erst einmal zu Hedda ziehen, sobald sie das Krankenhaus verlassen konnte. Wie wollte sie denn sonst zurecht kommen in der ersten Zeit?
    Ich ging ins Bad zimmer und drehte auch hier die Heizung voll auf, ebenso im Schlafzimmer. Als ich mein Bett sah, mit meiner zerknautschten Lieblingsdecke, so wie ich es vor wenigen Tagen nichtsahnend verlassen hatte, hätte ich mich am liebsten gleich hingelegt. Doch ich hatte den Verdacht, dass ich dann so bald nicht mehr aufstehen würde. Ich sah auf die Uhr, es war kurz vor halb elf. Der Tag war noch lang. Wenn ich jetzt gleich einkaufen ginge, könnte ich mich danach noch ausruhen. Ich fühlte mich hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, das Unvermeidliche schnell hinter mich zu bringen und dem Bedürfnis, mich auszuruhen. Die Vernunft siegte nach kurzem innerem Kampf. Ich holte den bunten Einkaufskorb aus dem Wandschrank neben der Flurgarderobe und griff nach dem Schlüsselbund, den ich auf der Küchentheke abgelegt hatte. In diesem Moment fuhr das Rauschen durch mich hindurch wie ein Windstoß durch eine Baumkrone. Es raschelte, rauschte und knisterte. Der Schwindel ergriff mich mit solcher Heftigkeit, dass ich taumelte, dann erfasste der Sog mich, als würde ich von kräftigen Armen angehoben, hoch und immer höher. Dann fiel ich endlos. Der Boden raste verkehrt herum und grellgelb auf mich zu, doch ehe ich aufschlagen konnte, stieß ich einen Schrei aus. Ich riss die Augen auf und stürzte aus der Wohnung. Das Treppenhaus war in so gleißend helles Licht getaucht, dass ich kaum etwas sehen konnte. Panisch tastete ich mich an der Aufzugtür vorbei und stieg, einen Fuß langsam vor den anderen setzend, die Treppe hinunter. Oh Gott, dachte ich, was ist denn nur mit mir? Ich will hier raus, was ist denn das?
    Im nächsten Stockwerk ließ ich mich auf einer Stufe nieder, setzte den Korb ab, den die eine Hand krampfhaft festhielt und wischte mir mit der anderen über die schweißnasse Stirn. Ich konnte einfach nicht mehr, Mein Puls beruhigte sich nur langsam. Schließlich richtete ich mich auf und machte mich auf den Weg. Hauptsache, ich war nicht allein in der Wohnung. Das eben war entsetzlich gewesen, als stürzte ich viele Meter tief auf etwas zu, das wie das Dach eines Wagens aussah. Vollkommen irre war das gewesen, ein gelbes Rechteck, das rasend schnell immer größer wurde. Vermutlich hatte ich einfach nur zu viele Actionfilme gesehen und meine Phantasie hatte eine dieser Kinoszenen sehr plastisch mit dem kurzen Schwindelanfall verbunden. Etwas in dieser Art musste es gewesen sein, denn schließlich war ich ja ganz eindeutig und zum Glück nicht wirklich gefallen.
    Meine Atmung hatte sich nahezu normalisiert,

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