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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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während ich langsam eine Stufe nach der anderen nahm. Als ich das Erdgeschoss durchquerte, öffnete sich die Wohnungstür auf der rechten Seite. Ein Mann in einem blauen Monteursoverall trat heraus, der Hausmeister, den ich beim Einzug kennengelernt hatte, auch wenn mir der Name gerade nicht einfallen wollte. Ich grüßte und ging weiter.
    „Junge Frau, ich suche Sie schon seit Tagen!“
    „Äh, mich?“
    Ich blieb stehen und drehte mich um. „Ja, wo waren Sie denn? Ich muss doch an die Dusche, wegen dem Temperaturregler. Gleich nach Weihnachten, das hatten wir verabredet. Jeden Tag habe ich bei Ihnen geklingelt. Ich meine, Sie wollten das doch schließlich repariert haben.“
    Jetzt wusste ich es wieder. Natürlich, ich hatte an Heiligabend früh bei dem Hausmeister geklingelt und gebeten, dass er sich die Duscharmaturen ansah. Ich bekam immer nur ganz kurz warmes Wasser, dann wurde es entweder kochend heiß oder eiskalt. Der Name des Mannes wollte mir immer noch nicht einfallen. Verzweifelt schielte ich an ihm vorbei auf das Schild neben seiner Haustür. Anders , stand dort. Jetzt wusste ich es wieder.
    „Herr … Anders, es tut mir sehr leid, dass Sie sich umsonst bemüht haben. Ich war … nun ja, ich konnte nicht.“
    „ Das hätten Sie ja auch sagen können, dass Sie wegfahren. Wie auch immer, jetzt sind Sie ja wieder da. Warum gehen wir nicht jetzt gleich hinauf, dann haben wir das erledigt. Ich hole nur schnell mein Werkzeug und dann …“
    „Tut mir leid, aber ich kann jetzt nicht. Ich muss dringend noch etwas besorgen.“
    Allein bei dem Gedanken, jetzt gleich die Treppe wieder hinaufklettern zu müssen, wurde mir schon schlecht.
    „Wie wäre es, wenn ich Ihnen Bescheid sage, wenn ich wieder zurück bin? Sagen wir, etwa in einer halben Stunde?“
    Herr Anders nickte.
    „Na gut, ist mir auch recht, ich muss sowieso noch zu Frau Müller in den vierten Stock, damit die alte Dame heute Abend nicht im Dunkeln sitzen muss.“ Er hielt ein Paket Glühbirnen hoch, das er in der Hand hielt und grinste breit. Dabei entblößte er an einer Seite eine breite Zahnlücke, die mir bisher nicht aufgefallen war. „Wenn ich hier nicht aufmache, klingeln Sie auf dem Weg nach oben bei Frau Müller, dann weiß ich, dass Sie zurück sind.“
    Ich stimmte zu und machte mich auf den Weg. Vor der Haustür blieb ich stehen. Die blasse Wintersonne schien mir ins Gesicht . Mit einem tiefen Atemzug sog ich die klare Luft ein und setzte mich in Bewegung. Was für ein Genuss nach den Tagen im Krankenhaus, dachte ich und erinnerte mich zugleich mit schlechtem Gewissen an meine arme Schwester. Sie würde noch mindestens eine Woche im Krankenhaus bleiben müssen und dann, kaum dass sie entlassen war, ihren Mann unter die Erde bringen. Wenn man einmal von meinen Gehörproblemen und dem Schwindel absah, war ich glimpflich davongekommen. Inzwischen war ich vor dem Supermarkt angelangt. Obwohl ich so langsam gegangen war, fühlte ich mich schon wieder vollkommen ausgelaugt. Wahrscheinlich waren die Geräusche und das alles nur auf die Erschöpfung zurückzuführen, so ähnlich wie bei einem Tinnitus. Wenn ich bei dem Unfall auch nicht nennenswert körperlich verletzt worden war, so war es doch ein einschneidendes Erlebnis gewesen, vielleicht sogar ein Trauma, wie Dr. Weber gesagt hatte. Als ich den Laden betrat, beschloss ich, morgen Karoline anzurufen und sie zu bitten, mir noch ein paar Tage länger frei zu geben.
    Während ich den Einkaufswagen vor mir herschob, überlegte ich, was ich einkaufen sollte. Es war Silvester, also auf jeden Fall schon mal Sekt, für Hedda in Anbetracht ihres Zustandes natürlich alkoholfrei. Und vielleicht noch eine extra nur für mich, später, wenn ich allein war. Sie würde mein einziger Begleiter in das neue Jahr sein. Man hätte meinen können, dass diese Aussicht mich erschreckte, aber so war es nicht. Ich hatte nichts dagegen, allein zu sein und ganz gewiss war mir nicht nach Gesellschaft.
    Zuerst musste ich mir einfallen lassen, womit ich meine Schwester verwöhnen konnte und was sich trotzdem am Krankenbett auftischen ließ. Ich häufte alles, was mir nur halbwegs sinnvoll erschien, in den Wagen, schließlich musste ich auch noch meine eigenen Vorräte wieder auffüllen. Also kaufte ich Milch, Brot, Wurst und Schinken, dazu noch Käse, Lachs, Weintrauben, eine Melone und jede Menge Cracker, Schokolade und anderen Knabberkram und schließlich den Sekt, einmal richtig und einmal alkoholfreien.

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