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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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vorher schon. Und wenn der Fahrstuhl mal geht, dann ist es doch ganz schön da oben. Keiner, der dir auf dem Kopf herumtrampelt, und dann die schöne Dachterrasse!“
    „Ja, das stimmt schon, aber … erinnerst du dich an den Fall im letzten Sommer, wo die junge Frau vom Balkon gestürzt ist?“
    „Im letzten Sommer? Ach ja, natürlich, was ist damit?“ Sie verstummte. „Ach je, du meinst doch nicht … war das bei dir in der Gegend? Da stehen ja die ganzen hohen Dinger. Sozialer Brennpunkt und so, aber die Stadt hat doch viel getan in den letzten Jahren, auch die Außenanlagen sind nicht mehr so ungepflegt, und ...“
    „Hedda!“
    „Ich bin ja schon still. Also, was ist damit?“
    „Es war nicht nur in der Gegend.“
    Tatsächlich standen unweit meines Wohnhauses noch drei weitere mehrstöckige Wohnhäuser wie Bauklötze, die ein Riese da hingeworfen hatte. Dazwischen lag nur die etwas verwahrloste Grünanlage und der Parkplatz für die Anwohner.
    Hedda schwieg und nutz te die kurze Gesprächspause, um einen Mercedesfahrer, der es besonders eilig hatte, vorbei zu lassen. Dann scherte sie wieder auf die linke Spur aus und überholte ihrerseits einen Reisebus. Vor uns kam bereits die Silhouette von Vallau in Sicht. Ich gab mir einen Ruck. Irgendwie musste ich das auch einmal loswerden, bisher hatte ich noch mit niemandem darüber gesprochen.
    „Es war in meiner Wohnung“, platzte ich heraus. „Sie ist von meinem Balkon gesprungen oder gefallen oder was auch immer.“
    „Wow.“
    Jetzt war sogar Hedda sprachlos, doch sie hatte sich schnell wieder gefangen und feuerte eine ganze Reihe von Fragen auf mich ab. Seit wann ich das wüsste, was damals passiert war, wie ich mich damit fühlte und so weiter. Ich beantwortete ihre Fragen so gut ich konnte, ohne dabei zu verraten, was ich durch meine Träume und Visionen erfahren hatte. Das brachte ich einfach nicht über die Lippen . Ich hätte auch nicht gewusst, wie ich es in Worte fassen sollte, ohne dass es allzu irre klang. Also erzählte ich nur, was ich durch den Hausmeister erfahren hatte und das Wichtigste aus meinen Internetrecherchen.
    „Wow. Das ist ja übel.“
    Hedda schüttelte den Kopf, als könnte sie es nicht glauben. Ich war froh, mit meiner Schwester über Yasmines Sturz sprechen zu können , auch wenn es nicht die ganze Wahrheit war.
    „Das ist ja unglaublich. Ich meine, der Fall ist schon entsetzlich genug, aber dass sie ausgerechnet in deiner Wohnung gelebt hat, und … da hätte ich jede Nacht Alpträume!“
    Sie stockte und warf mir einen kurzen Seitenblick zu.
    „Oh. Äh. Tut mir leid! Ach Nora, das sagt man doch nur so. Ich meine, es hat ja schließlich nichts mit der Wohnung zu tun, was passiert ist.“
    „Ich habe aber Alpträume“, sagte ich, um so nahe wie möglich an die Wahrheit heranzukommen. Ich musste das einfach mit jemandem teilen und wer wäre naheliegender gewesen, als meine Schwester? Sybille erwartete ich erst im März aus Australien zurück und per Mail war es einfach nicht dasselbe. Außerdem hatte sie sich nach dem Unfall schon genügend Sorgen um mich gemacht, da würde ich ihr nicht noch die letzten Wochen im Ausland verderben.
    „Es ist jedes Mal … als würde ich an ihrer Stelle aus dem Fenster stürzen. Es ist einfach grauenvoll.“
    Ich schluckte. Hedda war für einen Augenblick abgelenkt, weil wir gerade die Autobahn verließen und sie sich in den Stadtverkehr einfädeln musste. Als sie die richtige Spur gefunden hatte, fragte sie weiter.
    „Ist es so schlimm? Aber seit wann ist denn das so, am Anfang hast du gar nichts erzählt. Ich dachte, du fandest es da ganz okay.“
    „ Ja, schon. Aber da wusste ich ja auch noch nichts von Yasmine und außerdem haben die … die Träume erst nach dem Unfall angefangen.“
    „Was hat denn der Unfall damit zu tun? Hör mal, wir sind gleich da. Lass uns auf der Rückfahrt weiter reden, ja?“
    Hedda folgte den Anweisungen des Navigationsgerätes. Ich verstummte und sah aus dem Fenster. Ich wusste schon, wie es auf der Rückfahrt ablaufen würde. Wir würden haarklein diskutieren, ob die Wohnung nun geeignet war oder nicht. Falls sie sich entschloss, das Angebot anzunehmen, würde Hedda mir detailliert auseinandersetzen, welche von ihren vorhandenen Möbeln sie wo hinstellen würde, was sie noch alles brauchen würde und so weiter. Was nicht hieß, dass ich sie nicht verstehen konnte, ich hätte auch lieber Pläne für eine neue Bleibe geschmiedet als von Stimmen und

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