Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
Vom Netzwerk:
schöne Augen macht, so ein schöner Mann war der damals. Ja, und währenddessen stürzt die arme Yasmine in den Tod. Einfach furchtbar. Nichts gesehen und nichts gehört habe ich. Das arme Kind.“
    „Kannten Sie sie denn?“
    „Ach ja, die Yasmine, das war eine ganz liebe, aber sie wohnte ja noch nicht sehr lange hier. Vielleicht vier oder fünf Monate. So genau weiß ich das nicht mehr. Aber freundlich war sie, sehr freundlich, und wenn der Fahrstuhl kaputt war, dann hat sie jeden Tag geklingelt und gefragt, ob ich etwas brauche.“
    Ich dachte nach. Vielleicht hatte der Name gar nichts mit Yasmine zu tun, sondern mit der Wohnung, in die Hedda demnächst einziehen würde, oder vielleicht hatte es überhaupt nichts zu bedeuten. Aber wie sollte ich das wissen, wenn ich nicht fragte?
    „Sagen Sie … hat sie denn allein dort oben gewohnt oder hatte sie einen Freund? Hat sie … ich meine, hat Yasmine vielleicht einmal jemanden erwähnt, der John hieß?“
    „John? Nein. Da bin ich mir ganz sicher. Wir haben auch nicht so viel über private Dinge gesprochen, was sollte sie mir alter Schachtel auch erzählen, so ein junges Ding. Hübsch war sie, das muss man sagen . Aber immer allein. Einmal hat sie erwähnt, dass ihre ganze Familie weit weg wohnt … in … wo war das gleich? Ach, ich komme jetzt nicht darauf. Aber auf dem Türschild stand nur ein Name, das weiß ich genau: Yasmine Abassian. Einmal hatte sie mich eingeladen, zum Tee, das war sehr nett. Nein, da war wohl sonst niemand.“
    Immerhin wusste ich jetzt den Nachnamen. Die alte Dame blickte nachdenklich an die Decke, dann leuchtete ihre Miene auf, als sei ihr gerade etwas eingefallen. Ich ließ ihr Zeit, vielleicht würde ich doch noch etwas mehr erfahren. Mein Warten wurde belohnt.
    „Manchmal hat man von oben doch Schritte gehört, die ganz sicher nicht Yasmines waren, die war doch so zart und klein, von Weitem hätte man meinen können, ein Kind. Und dazu diese unglaublichen Haare. Ein bisschen wild vielleicht, aber so tragen die jungen Frauen das wohl heute. Also muss da wohl doch noch jemand gewesen sein, ich meine, wo sie doch ein Kind erwartete.“
    Ich hielt die Luft an, dann atmete ich aus.
    „Sie meinen … auch an dem Tag, als es passierte? Ist da auch jemand oben gewesen?“
    „Nein, das wohl nicht. Nun, mit Gewissheit kann ich es nicht sagen, das habe ich auch der Polizei immer wieder gesagt. Dieser Kommissar, der ist ja noch einige Male hier gewesen, den hat das alles wohl auch nicht so richtig losgelassen. Ein sehr netter Mann übrigens und so gutaussehend. Es war ja auch alles sehr tragisch und geheimnisvoll. So einen Fall hat die Polizei auch nicht jeden Tag zu bearbeiten, denke ich. Aber ich hatte, wie gesagt, ferngesehen und nichts mitbekommen. Leider. Wer weiß, was sie da oben gemacht hat auf dem Balkon. Es wird sich wohl nie ganz aufklären lassen, meinte der Kommissar.“
    „Wann ist der denn das letzte Mal hier gewesen?“, wollte ich noch wissen.
    Frau Müller blickte mich ratlos an.
    „Ja, also, das kann ich nicht mehr so genau sagen. Tut mir leid, liebes Kind, aber ich komme einfach nicht darauf. Für mich ist irgendwie jeder Tag gleich, wissen Sie, da ist es schwer, den Überblick zu behalten.“
    Ich trank den letzten Schluck aus meiner Tasse und erhob mich.
    „Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für mich genommen haben. Yasmine beschäftigt mich schon sehr, wo ich nun dort oben wohne und weiß, was passiert ist.“
    Die alte Dame sah an mir vorbei, als hätte sie mich nicht gehört. Ich pustete sicherheitshalber die Kerzen aus und trug unsere Tassen und die Kekse in die Küche. Als ich die Tassen abgespült, abgetrocknet und wieder in den Schrank gestellt hatte kehrte ich in das Wohnzimmer zurück.
    „Frau Müller, ich gehe dann jetzt.“
    Sie blickte auf und runzelte die Stirn, als wüsste sie nicht mehr, was ich in ihrer Wohnung machte. Dann nickte sie, stand auf und folgte mir mit kleinen tappenden Schritten bis an die Wohnungstür. Ich wandte mich um und streckte ihr die Hand entgegen.
    „Tschüs s, Frau Müller.“
    Mein ausgestreckter Arm blieb unbeachtet in der Luft zwischen uns hängen.
    „Wie kommen Sie auf John?“
    „Ja, nun, ich … ich habe von ihr geträumt.“
    „Geträumt? Ach. Und ich dachte eben schon …“
    „Was dachten Sie? Bitte , Frau Müller, sagen Sie es mir doch, ich kann im Moment an nichts anderes mehr denken. Wenn Sie noch etwas wissen, bitte, dann sagen Sie es mir!“
    „Ach nein,

Weitere Kostenlose Bücher