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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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Ihnen erzählt habe, vollkommen idiotisch angehört haben muss. Aber das ist noch lange kein Grund, sich über mich lustig zu machen.“
    „Frau Morgenroth, ich mache mich keineswegs über Sie lustig, im Gegenteil, Ihre Aussage hat mich sehr beschäftigt. Und zwar so sehr, dass ich etwas getan habe, was ich eigentlich nicht hätte tun sollen.“
    „Was denn?“
    Anst elle einer Antwort griff der Polizist nach seiner Tasche, die er neben dem Sofa abgestellt hatte und öffnete den Magnetverschluss. Er zog den blassgrünen Pappordner heraus, den ich schon kannte und legte ihn vor sich auf den Tisch. Die Vorderseite war beschriftet, wie ich jetzt erkannte. 37B23/OL 22/2009 stand dort, das war wohl das Aktenzeichen. Die Tasche stellte er zu seinen Füßen auf den Boden. Dann wandte er sich mir zu.
    „Ich habe mit dem Herrn gesprochen, den Sie genannt haben, mit Stadtrat van der Brelie.“
    Das war mehr, als ich erhofft hatte. Während ich gespannt auf die Fortsetzung wartete, hörte ich das vertraute Rauschen näher kommen.
    Yasmine… warte … es ist soweit!
    „Es tut mir leid, aber Herr van der Brelie kannte Ihre … also, er kannte Frau Abassian offenbar nicht. Es gibt keinerlei Verbindungen, keinen Beleg dafür, dass die beiden sich überhaupt jemals begegnet sind. Außer …“
    „Außer meinem Traum“, vollendete ich den Satz. Meine eigene Stimme klang, als wäre ich ganz weit weg. Yasmines Trauer schlug in Wut um, das spürte ich ganz deutlich. Wir hätten alles um uns herum zerschlagen können, aber gleichzeitig war ich wie gelähmt.
    „Entschuldigung … Frau Morgenroth?“
    D ie Stimme des Mannes, der auf dem Sofa neben mir saß, war mindestens so weit entfernt wie ich selbst. Er klang seltsam metallisch, irgendwie scheppernd, als würden wir über eine schlechte Telefonverbindung miteinander sprechen.
    „Frau Morgenroth, ist Ihnen nicht gut?“
    „Doch“, sagte ich und hörte mich kaum.
    „Entschuldigung, dürfte ich wohl eben Ihre Toilette …“
    „Neben der Haustür rechts“, flüsterte ich. Anscheinend hatte er mich dennoch verstanden, denn er stand auf und durchquerte das Wohnzimmer. Ich blickte auf die Akte und streckte gleichzeitig meine Hand nach meinem Handy aus, das auf dem Glastisch lag. Noch bevor ich den Papphefter berührt hatte, wusste ich, was ich tun würde. Es war Yasmines Entschlossenheit, die mich antrieb. Als die Klospülung im Badezimmer lief, hatte ich fast die Hälfte der Seiten abfotografiert. Hastig schlug ich eine Seite nach der anderen um, ohne näher hinzusehen. Für eine genauere Suche war keine Zeit. Der Wasserhahn lief, ich schaffte noch einmal vier Seiten. Als der Hauptkommissar sich auf dem Sofa niederließ, führte ich meine Tasse mit dem letzten erkalteten Schluck Tee an die Lippen.
    „ Entschuldigung. Also, es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen nicht mehr sagen kann. Deswegen bin ich auch vorbei gekommen, es war mir einfach wichtig, der Fall ist mir sehr nahe gegangen, wissen Sie. Ich konnte nicht mehr tun, wir haben ja nicht einmal einen Beweis dafür, ob überhaupt ein Verbrechen verübt wurde.“
    Der helle Blick blieb unergründlich. Ich erhob mich. 
    Der Hauptkommissar bückte sich nach der Tasche und verstaute den Papphefter. Schweigend durchquerten wir die Wohnung. Ich hätte gern noch etwas gesagt, aber es fühlte sich plötzlich so an, als hätte ich Sägespäne im Mund. Ich war merkwürdig befangen, als wir uns die Hände reichten. Im Treppenhaus drehte der Hauptkommissar sich noch einmal zu mir um, als ich die Tür schon fast geschlossen hatte.
    „Ich wünsche Ihnen wirklich alles Gute, Frau Morgenroth. Und … ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber vielleicht sollten Sie sich überlegen, ob Sie sich nicht doch eine andere Wohnung suchen wollen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich meine nur …“
    Was er noch meinte, hörte ich nicht mehr. Ich drückte die Tür lautlos ins Schloss, dann lief ich quer durch die Wohnung auf die Terrasse und an die Balkonbrüstung. Ich umklammerte das kalte Metall des Geländers und blickte nach unten.
    Yasmine.
    N ichts geschah, ich sah mich nicht fallen. Als der Hauptkommissar unten aus dem Haus trat und den Kopf in den Nacken legte, sprang ich zurück. Mein Herz pochte schmerzhaft und ich begriff mich selbst nicht mehr.
    Meine Beine zitterten, als ich in die Wohnung zurückkehrte. Ich schloss die Balkontür und setzte mich mit Laptop und Handy auf den Fußboden. Keine zehn Minuten später hatte ich alle

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