Nora Morgenroth: Die Gabe
mich legte und in mein Haar murmelte: „Du fehlst mir, Kleines.“
Doch i ch war niemandem etwas schuldig, schon gar nicht seiner neuen Frau. Also drehte ich den Kopf so, dass unsere Lippen sich trafen. Während wir uns küssten, zerrten wir an unserer Kleidung. Er half mir und ich ihm. Unsere Münder trennten sich nur kurz, damit wir die Oberteile über den Kopf ziehen konnten. Wir liebten uns an Ort und Stelle, auf dem Sofa also, das zu kaufen ich gezwungen gewesen war, weil mein Mann jetzt mit einer anderen Frau zusammenlebte. Nun, genaugenommen war er natürlich nicht mehr mein Mann. Trotzdem fühlte es sich an wie nach Hause zu kommen, ich kannte Daniels Körper auswendig und er meinen.
Schließlich blieb ich verschwitzt und keuchend auf ihm liegen, mein Kopf an seiner Brust.
„Es tut mir leid.“
Ich nickte. Genau in diesem Moment erkannte ich, dass es so war. Es tat ihm wirklich leid.
„Weißt du… Nora, kannst du mich bitte mal ansehen?“
Ich hob den Kopf. Wir waren uns jetzt ganz nah, nicht nur physisch, so nah und ehrlich wie vielleicht seit Jahren nicht mehr.
„Ich höre dir zu.“
„Du musst das unbedingt wissen, Nora. Ich wollte dir nicht weh tun. Ich weiß, dass ich ein beschissener Feigling bin.“
„Ja, das stimmt.“
„Verzeihst du mir? Können wir trotzdem noch… Freunde sein? Ich habe das vorhin ernst gemeint, du fehlst mir wirklich.“
Plötzlich versperrte ein schmerzender Kloß meinen Hals, ich konnte kaum schlucken. Sicherheitshalber schüttelte ich erst einmal leicht den Kopf, ehe ich antwortete.
„Ich weiß nicht, ich weiß es ehrlich nicht. Ich möchte schon. Aber du hast mir so furchtbar weh getan.“
„Es tut mir so leid!“
„Ich weiß.“
Ich rutschte neben ihn, senkte meinen Kopf auf seine Brust und lauschte den gleichmäßigen Atemzügen. Daniel legte seine Arme fest um mich. Das Pochen seines Herzens war so vertraut an meiner Wange, dass ich davon ganz schläfrig wurde. Als Daniel sich irgendwann erhob und leise seine Sachen zusammensuchte, hielt ich ihn nicht zurück.
Als er weg war, stand ich auf, stopfte die halbleeren Pappschachteln vom Chinarestaurant in eine Plastiktüte und stellte sie vor die Wohnungstür. Ich würde sie am nächsten Morgen unten in die Mülltonne werfen. Den Geruch nach abgestandenem Essen konnte ich jetzt nicht mehr ertragen. Dann schenkte ich mir den letzten Schluck aus der Weinflasche ein, zündete eine meiner Notfall-Zigaretten an und öffnete die Terrassentür einen Spalt, damit die Wohnung am nächsten Tag nicht zu sehr nach Rauch stank. So stand ich nackt am Fenster im kalten Luftzug und rauchte. Ich fühlte mich in diesem Moment so einsam, als wäre ich der allerletzte Mensch auf dieser Erde, aber trotzdem war ich froh, dass Daniel fort war.
Ich drückte die Zigarettenkippe in dem Blumentopf aus, den ich neulich gekauft hatte. Die Pflanze war schon halb verwelkt, weil ich immer wieder vergaß, sie zu gießen. Dann ging ich schlafen.
NEUN
Am letzten Freitag im Februar geschahen zwei Dinge. Zuerst bekam ich eine Mail von Sybille, die ihre Rückkehr etwas früher als geplant für den elften März ankündigte. Da Bille nicht sofort in ihre untervermietete Wohnung konnte, musste sie für einige Tage bei den Eltern unterkommen. Obwohl ich um das nicht gerade unbeschwerte Verhältnis vor allem zu ihrem Vater wusste, machte ich nicht das naheliegende Angebot, dass Sybille übergangsweise zu mir ziehen könnte. Ich hatte sie vermisst und freute mich von Herzen darauf, meine Freundin wieder zu sehen. Dennoch brachte ich es nicht über mich, ihr dieses Angebot zu machen, auch wenn ich mich für meinen Eigennutz schämte. Nach der Nacht mit Daniel war es Yasmine und mir immer schlechter gegangen. Ihre Trauer hing wie ein schwerer Dunst über der Wohnung. Wieder und wieder durchlebten wir ihre Beziehung zu John, von der ersten Begegnung an, als er einer der Gäste gewesen war, die ihr zusahen, bis zum letzten Streit - dann der Sturz. Immer wieder fielen wir. Yasmine war untröstlich, sie weinte um ihre Eltern und um das ungeborene Kind. Yasmine lähmte mich und zugleich war ich süchtig nach diesen Stunden. Manchmal krochen wir in mein Bett, verknäulten uns ineinander und wärmten uns gegenseitig wie Zwillinge im Leib der Mutter. Ich vergaß, dass es Yasmines Schicksal war und nicht meines und so fand ich in ihrer Nähe meine eigene Trauer wieder. Zugleich war sie mein einziger Trost und ich der ihre. Darauf konnte ich nicht
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