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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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Augen auf und versuchte, den Kopf zu bewegen, soweit die Umklammerung des Fremden es zuließ. Weit und breit war niemand auf der Straße zu sehen. Fast alle Fenster der umliegenden Häuser waren dunkel. Überhaupt war es so dunkel. Erst jetzt erkannte ich: Die Laterne, in deren Nähe ich meistens parkte, auch an diesem Abend, war erloschen. Die nächste stand zu weit entfernt. Wenn man nicht genau an uns vorbeiging, waren wir vermutlich kaum zu sehen. Nur zwei Schatten, halb verdeckt von einem parkenden Wagen. Wir konnten auch ein Liebespaar sein. Es war nach halb eins. Es war still und stockdunkel. Ich war allein mit diesem Mann. Wer er auch immer war. Der Körper, der sich von hinten an mich presste, war schwer, so schwer. Er drückte sich so hart an mich, als wollte er mich zermalmen. Um meine Hüfte herum wurde es kalt. Er riss und zerrte mit der freien Hand am Bund meiner Jeans. Ich wimmerte. So sehr ich mich auch wand und versuchte, dem Druck zu entkommen, ich hatte keine Chance. Als sich der Griff für eine Sekunde lockerte, holte ich tief Luft, vielleicht würde ich doch noch entkommen und er von mir ablassen. Erst musste ich atmen, dann würde ich schreien. Ein Stoß und ich fiel. Als meine Wange ungebremst auf den Asphalt knallte, spürte ich, dass Yasmine endlich bei mir war. Ihre süße Stimme übertönte das Dröhnen in meinem Kopf. Mein Körper vibrierte von den Haarwurzeln bis in die Zehen. Ich spürte kaum noch das Gewicht auf mir. Zum ersten Mal machte Yasmine nun mein Leid zu ihrem, und ich wusste, ich würde dies hier überleben, ganz gleich, was auch geschah. Die zweite Hand löste sich kurz von meinem Mund, zwei Hände zerrten nun an meiner Hose. Ich schrie auf, nur kurz – da schlug mein Kopf auf den rauen Boden, etwas Spitzes bohrte sich in die Haut. Dann spürte ich das Kratzen und den widerwärtigen Geruch eines ungepflegten Vollbartes an meinem Ohr.
    „Halt‘s Maul, Schlampe. Noch ein Schrei und ich stech dich ab. In Zukunft halt dich aus den Sachen raus, die dich nichts angehen. Sonst bringe ich nächstes Mal meine Kumpels mit, das wird lustig, aber nicht für dich. Und jetzt mach die Beine breit.“
    Ich schloss die Augen und hörte auf, mich zu wehren. Doch plötzlich war das Gewicht fort. Ich hörte Motorengeräusche, dann Türenklappen und Stimmen, die sich entfernten. Währenddessen kam ich mühsam auf die Knie, zog die Hose hoch und blickte mich ängstlich um. Dann saß ich im Wagen und hatte die Türen verriegelt, ohne zu wissen, wie ich hineingekommen war.
    Warum ich dann, ohne überhaupt darüber nachzudenken, zu Franka fuhr und nicht zu Sybille, kann ich nicht sagen. Ich will nicht behaupten, dass ich, als ich haltlos weinend quer durch die Stadt fuhr, schon den Plan im Kopf hatte. Denn so war es nicht. Es war allein Frankas Idee gewesen. Sie öffnete mir in dieser Nacht die Tür zu ihrer winzigen Souterrainwohnung und ließ mich wie selbstverständlich ein. Mit einem Blick erfasste sie die Situation. Als ich ihre allererste Frage, ob sie die Polizei für mich anrufen sollte, verneinte, nickte sie nur. Und umarmte mich, bis ich aufhörte zu zittern. Dann verfrachtete Franka mich unter ihre nicht sehr saubere Dusche. Danach trug ich eines ihrer übergroßen Schlafshirts und eine Jogginghose, die mir zu kurz und viel zu weit war. Wir setzten uns in der Küche an den kleinen halbrunden Tisch, den man aus Platzgründen auch an die Wand klappen konnte. Franka schenkte, ohne zu fragen, Tequila in die bereitgestellten Gläser. Wir tranken.
    „Willst du mir erzählen, was passiert ist?“
    Und zum ersten Mal wollte ich. In groben Zügen wusste Franka natürlich Bescheid, so wie alle, die wir kannten und von dem Unfall wussten. Trotzdem fing ich noch einmal ganz von vorne an. Ich begann mit der Nacht des zweiten Weihnachtsfeiertages, meinem Frust wegen Daniel und der Trennung, wie wir gefeiert hatten und dann spät auf der Rückfahrt von Vallau nach Erzfeld in das Schneegestöber gerieten. Wie wir von der Straße abkamen und ich dann im Krankenhaus aufgewacht war. Dann erzählte ich, sicher nicht immer ganz chronologisch, wie ich zum ersten Mal meinte, Marc im Traum zu mir sprechen zu hören, wie ich dann organische oder psychische Folgen des Unfalls vermutet hatte und untersucht worden war. Und wie ich schließlich an Omis Grab begriffen hatte, dass etwas Besonderes mit mir geschehen war. Eine Gabe hatte sie das genannt. Und weil ich schon einmal dabei war, erzählte ich von Yasmine,

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