Nora Roberts
leben und sie nicht anzufassen?
Er nahm das
Duschgel und seifte sich von Kopf bis Fuß ein. Vielleicht konnte er wenigstens
ihren Duft abwaschen, der ihm schon unter die Haut gekrochen zu sein schien.
Jessica erwachte und tastete automatisch
nach Slade. Er war verschwunden, und damit gleichzeitig auch ihr Frieden. Die
wenigen Stunden Schlaf hatten sie nicht entspannt. Im Gegenteil, sie war noch
aufgewühlter als am Abend zuvor. Wäre er neben ihr gelegen, hätte sie sich an
ihn schmiegen können und nicht diesen grausamen Stachel der Verlustangst spüren
müssen.
David
und Michael. Nein,
nicht einmal sie durfte daran denken. Sie vergrub das Gesicht in den Händen und
versuchte, diesen schrecklichen Gedanken auszublenden. Doch dann sah sie
Slades eisigen Blick, als er die Waffe auf sie gerichtet hatte. Das ist völlig
verrückt, ein fataler Irrtum. Diamanten im Wert von einer Viertelmillion
Dollar. Interpol. David und Michael.
Die
Vorstellung war so unerträglich, dass Jessica wie vom Teufel gejagt aus dem
Bett sprang. Sie brauchte einen klaren Kopf, um nachdenken zu können. Das Haus
kam ihr vor wie ein stickiges Kerkerverlies. Sie kleidete sich hastig an und
machte sich auf den Wegen den Strand.
Als Slade
zehn Minuten später ihre Tür einen Spalt weit öffnete, um nach ihr zu sehen,
fand er ihr Bett leer vor. Die Panik, die ihn augenblicklich ergriff, war
genauso untypisch für ihn wie unprofessionell. Er warf rasch einen Blick ins
Bad und in ihr Wohnzimmer, ehe er nach unten eilte. Im Speisezimmer fand er
Jessica auch nicht, aber Betsy.
»Wo ist
sie?«, fragte er sie barsch.
Betsy
räumte den Teller ab, den sie für Jessica gedeckt hatte, und knurrte dann
ebenso barsch zurück: »Dann sind Sie also auch bester Laune, wie ich sehe.«
»Wo ist
Jessica?«
Betsy
seufzte und maß ihn mit einem wissenden Blick. »Sie sah
schlecht aus heute Morgen. Hoffentlich hat sie sich nicht Davids Grippe
eingefangen. Unten am Strand«, fuhr sie eilig fort, ehe Slade sie anschnauzen
konnte.
»Allein?«
»Ja, allein.
Hat nicht mal diesen wandelnden Mopp von Hund mitgenommen. Hat mir gesagt, dass
sie heute nicht in den Laden geht und ...« Betsy stemmte die Hände in die Hüften
und starrte grimmig seinem entschwindenden Rücken hinterher. »Na ja«, murmelte
sie und schnalzte mit der Zunge.
Es war
kalt. Deshalb fiel es Slade nicht schwer, sein Pistolenhalfter unter einer
Jacke zu verbergen. Als er die Strandtreppe erreichte, fielen ihm beinahe
keine Flüche mehr ein. Hatte sie überhaupt irgendetwas von dem, was er ihr
letzte Nacht erklärt hatte, verstanden? Er entdeckte sie unten bei den
Wellenbrechern und rannte die letzten Stufen hinunter auf sie zu.
Jessica
hörte ihn kommen und drehte sich um. Was immer sie hatte sagen wollen, blieb
ihr in der Kehle stecken, als er sie an den Schultern packte und schüttelte.
»Du Wahnsinnige! Was machst du hier
allein am Strand? Weißt du nicht, in welcher Lage du dich befindest?«
Anstatt zu
antworten, holte Jessica aus und gab ihm eine schallende Ohrfeige. Der Schlag
ließ beide erstarren und die Blicke, die sie tauschten, waren scharf wie
Messerklingen. Sein Griff lockerte sich so weit, dass Jessica einen Schritt zurück
machen konnte. »Schnauz mich nicht so an«, zischte sie und rieb sich
automatisch die Schultern. »Das muss ich mir von niemandem gefallen lassen.«
»Von mir
schon«, gab er gleichmütig zurück. »Diesmal lasse ich dir diese Ohrfeige noch
durchgehen, Jess, aber das nächste Mal schlage ich zurück, merk dir das. Was
hast du hier zu suchen?«
»Ich gehe
spazieren«, versetzte sie schnippisch. »Vorher habe ich David noch dahingehend
instruiert, dass er den Laden heute allein schmeißen muss – ganz wie befohlen,
Sergeant.«
Also sind
wir wieder bei dieser Leier, dachte Slade und schob wütend die Hände in die
Taschen. Der Wind wehte ihm die Haare ins Gesicht. »Wunderbar. Mein nächster
Befehl lautet, dass du ab jetzt nicht mehr das Haus verlässt, ohne mich vorher
zu fragen.«
Die
plötzlich aufsteigenden Tränen löschten das Feuer in ihren Augen. Sie umfasste
ihre Ellbogen und drehte sich rasch um. Er
hatte ihre Wut erlebt, ihre Leidenschaft, aber ihre Schwäche wollte sie ihm
nicht zeigen. »Hausarrest?«, murmelte sie leise.
Er hätte
lieber noch eine Ohrfeige von ihr eingesteckt, als sie weinen zu sehen.
»Schutzhaft«, gab er zurück und legte seufzend die Hände auf ihre Schultern.
»Jess ...«
Sie
schüttelte heftig den Kopf, wissend, dass
Weitere Kostenlose Bücher