Nora Roberts
zu dir und hör mir zu«, flüsterte er mit scharfer Stimme und
nahm ihr Gesicht in beide Hände.
»Wenn wir
Glück haben, weiß er nicht, dass wir ihn gesehen haben. Er denkt
wahrscheinlich, wir liegen hier und lieben uns. Wenn er wüsste, wer ich
wirklich bin, hätte er mich erledigt, anstatt zu warten, bis er dich genau in
der Schusslinie hat. So, und jetzt hast du nur eines zu tun, Jess, verstanden?«
»Nur
eines«, wiederholte sie und nickte.
»Rühr dich
nicht von der Stelle.«
Beinahe wäre
sie in ein hysterisches Kichern ausgebrochen. »Das hört sich gut an. Wie lange,
glaubst du, werden wir hier bleiben müssen?«
»Du bleibst
hier, bis ich zurückkomme.«
In
plötzlicher, verzweifelter Panik schlang sie die Arme um seinen Hals. »Du gehst
doch nicht etwa dort hinaus! Er wird dich umbringen!«
»Er hat es
auf dich abgesehen«, meinte Slade nur und schälte sich aus ihrer Umklammerung.
»Ich will, dass du genau das tust, was ich dir gesagt habe.«
In
gebückter Haltung knapp über ihr kauernd zog er seine Jacke aus und nahm das
Holster ab. Nachdem er sich das Hemd aus
der Jeans gezupft hatte, steckte er die Pistole hinten in den Hosenbund. »Ich
stehe jetzt auf und gehe zur Treppe. Entweder wird er denken, du hast dich
geziert, oder wir sind schon fertig und du bleibst noch ein Weilchen hier.«
Sie hielt
ihn nicht länger fest, weil sie wusste, dass es sinnlos wäre, ihn aufhalten zu
wollen. »Und wenn er dich erschießt?«, fragte sie resigniert. »Tot wirst du
einen miserablen Bodyguard abgeben.«
»Wenn er
das vorhat, dann schießt er, sobald ich aufgestanden bin«, erklärte Slade
trocken und nahm ihr Gesicht wieder in die
Hände. »Aber dann hast du immer noch die Pistole, stimmt's?« Er küsste sie,
hart und schnell, ehe sie etwas erwidern konnte. »Bleib hier, Jess. Ich komme
zurück.«
Er erhob
sich lässig, den Blick immer noch auf sie geheftet. Jessica hatte das Gefühl,
als hätte ihr ganzer Körper auf Zeitlupe
geschaltet. Ihr Gehirn, die Lungen, das Herz. Wenn sie überhaupt
atmete, so war es ihr nicht bewusst. Sie lag da in einem Vakuum von Angst.
Slade grinste sie an, versuchte Zuversicht
auszustrahlen, die nicht bis in seine Augen reichte. Wie betäubt fragte sie
sich, ob dieses Lächeln ihr oder dem Mann in dem Wäldchen gegolten hatte.
»Was immer
auch passiert, du bleibst, wo du bist.« Damit drehte er sich um und schlenderte
lässig auf die Treppe zu. Er hakte die
Daumen in die Vordertaschen seiner Jeans, gab sich so unbekümmert, als wäre
nicht jeder Muskel seines Körpers zum
Zerreißen gespannt, und wartete ab. Ein dünner Rinnsal Schweiß rann an seiner
Wirbelsäule herab.
Tot
wirst du einen miserablen Bodyguard abgeben. Jessicas Worte hallten in seinem Kopf wider, während er
sich zwang, ganz gemächlich die Treppe hinaufzusteigen. Er wusste, wie knapp
diese lautlose Kugel ihr Ziel verfehlt hatte. Es war riskant, ohne jede
Deckung hier herumzumarschieren, für ihn, und auch für Jessica.
Ein
kalkuliertes Risiko, erinnerte sich Slade. Manchmal musste man eben ein Risiko
eingehen. Er zählte die Treppenstufen. Fünf, sechs, sieben ... Es war ziemlich
unwahrscheinlich, dass der Schütze im Augenblick die Waffe auf ihn gerichtet
hielt. Er wartete ziemlich sicher darauf, dass Jessica hinter dem Felsen
hervorkam. Zehn, elf, zwölf ... Hörte sie wenigstens diesmal auf ihn?,
überlegte er, von einer kurzen Panik ergriffen. Schau dich nicht um. Um
Himmels willen, schau bloß nicht zurück! Es gab nur noch eine einzige
Möglichkeit, sie zu retten.
Er erreichte
die oberste Treppenstufe, zog im selben Augenblick seine Pistole und rannte in
gebückter Haltung in das Wäldchen.
Das
Rascheln des trockenen Laubs würde ihn verraten, dachte er und kam dann zu dem
Schluss, dass das unter Umständen auch ein Segen sein konnte. Es würde
vielleicht die Aufmerksamkeit des Killers von Jessica ablenken. Im Zickzack
lief er auf die Stelle zu, wo er vorhin etwas Helles hatte flattern sehen. Er
ging gerade hinter einer Eiche in Deckung, als er einen dumpfen Schlag hörte.
Beinahe unbeteiligt registrierte er, dass die Kugel genau neben ihm in einen
Baum eingeschlagen war.
Das war
knapp, dachte er. Sehr knapp. Aber plötzlich war er die Ruhe selbst. Der Mann
wusste, dass er gepfuscht hatte. Und er wusste auch, dass, falls Slade das
Glück verlassen sollte, die Polizei von der ganzen Sache wusste. Slades Waffe
und die Art, wie er in Deckung ging, sagten jedem Profi, was er wissen
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