Nora Roberts
selbst
nachdem sie einander bis zur Erschöpfung geliebt hatten, hatte sie immer noch
eine unterschwellige Aufgewühltheit bei ihm gespürt. Sie hatte ihn nicht darauf
angesprochen, das musste sie sich eingestehen. Aber es lag nun einmal nicht in
ihrer Natur, herumzuschnüffeln. Sie selbst hatte es immer gehasst, wie ihre
Eltern jede ihrer Stimmungen wahrgenommen und hinterfragt hatten.
Und jetzt
hatte Seth sie also angelogen. Das lag allerdings nicht in seiner Natur, davon
war sie überzeugt.
Wenn etwas
nicht stimmte, musste sie ihm helfen. Gehörte das nicht auch dazu, wenn man
jemanden liebte?
Sie schaute
auf die Uhr. Es war schon nach Mitternacht. Was wäre, wenn er verletzt war? Was
wäre, wenn er einen Unfall gehabt hatte?
Und was
wäre, wenn er bloß einen Abend allein verbringen wollte?
»Dann hätte
er es sagen sollen«, murmelte Dru und ging zielstrebig auf die Tür zu.
Es gab
einen Ort, von dem sie glaubte, dass er dort sein könnte. Und sie musste
einfach dorthin fahren, weil sie sonst keine Ruhe finden würde.
Auf der
Fahrt in die Stadt hielt sie sich im Stillen einen Vortrag. Ihre Beziehung zu
Seth bedeutete nicht, dass er ihr über jede Minute seines Tages Rechenschaft
ablegen musste. Sie hatten schließlich beide ein Privatleben, eigene
Interessen und Verpflichtungen. Und sie war gewiss nicht die Sorte Frau, die
sich nicht selbst beschäftigen konnte.
Aber das
gab ihm schließlich noch lange nicht das Recht, sie über seine Pläne für den
heutigen Abend anzulügen. Wenn er doch nur an das verdammte Telefon gehen
würde, dann müsste sie nicht mitten in der Nacht in die Stadt fahren, um wie
die hysterische Ehefrau aus irgendeiner Sitcom nach ihm zu suchen.
Dru
beabsichtigte, ihm die Hölle heiß zu machen, weil er dafür verantwortlich war,
dass sie sich genau so fühlte.
Als sie
schließlich auf den Parkplatz hinter dem Haus einbog und seinen Wagen dort
stehen sah, hatte sie sich bereits in eine ausgewachsene Wut hineingesteigert.
Seinen Jaguar dort zu sehen, war wie ein Schlag ins Gesicht für sie und
beinahe hätte sie den Wagen gewendet und wäre wieder nach Hause gefahren. Warum
konnte er ihr und allen anderen denn nicht einfach sagen, dass er arbeiten
wollte? Warum konnte er nicht einfach ans Telefon gehen und ...
Sie trat
abrupt auf die Bremse.
Was wäre,
wenn er das Telefon nicht erreichen konnte? Was wäre, wenn er bewusstlos oder
krank war?
Sie parkte
hastig den Wagen, sprang hinaus und rannte die Treppe hinauf.
Das Bild,
wie er hilflos auf dem Boden lag, war in ihrem Kopf so lebendig, dass Dru erst
gar nicht begriff was vor sich ging, als sie ins Zimmer platzte und ihn auf dem
Bett sitzen sah, wo er sich Whiskey aus einer Flasche in ein kleines Glas
schüttete.
»Gott sei
Dank, es geht dir gut!« Die Erleichterung ließ ihre Knie weich werden. »Oh
Seth! Ich habe mir solche Sorgen gemacht.«
»Warum
denn?« Er stellte die Flasche ab und musterte sie mit trübem Blick, während er
einen Schluck nahm.
»Keiner
wusste, wo du ...« In diesem Moment begriff sie erst, was los war, und die
Erkenntnis versetzte sie erneut in Wut. »Du bist betrunken?«
»Noch
nicht. Aber ich arbeite dran. Hab noch ein ganzes Stück vor mir. Was machst du
denn hier?«
»Aubrey hat
schon vor Stunden bei mir angerufen. Sie ist auf der Suche nach dir. Da du
nicht ans Telefon gingst, war ich dumm genug, mir Sorgen um dich zu machen.«
Seth war
immer noch viel zu nüchtern. Zumindest nüchtern genug, um in Erwägung zu
ziehen, dass die Stimmung, in der sie sich befand, es ihnen beiden leichter
machen könnte. »Wenn du hergerannt bist, weil du dachtest, du würdest mich mit
einer anderen Frau im Bett erwischen, muss ich dich leider enttäuschen.«
»Es ist mir
nie in den Sinn gekommen, dass du mich betrügen könntest.« Ihre Verblüffung
war beinahe ebenso groß wie ihre Wut, als sie auf das Bett zuging und bemerkte,
wie wenig nur noch in der Flasche war. »Aber andererseits hätte ich auch nie
gedacht, dass du mich anlügst.
Oder dass
du hier allein herumsitzen und dich betrinken würdest.«
»Ich habe
dir ja gesagt, dass es eine Menge gibt, was du nicht von mir weißt, mein
Engel.« Er deutete mit dem Daumen auf die Flasche. »Willst du einen? Gläser
sind in der Küche.«
»Nein,
vielen Dank. Gibt es einen besonderen Grund, warum du deine Familie beunruhigst
und einen Saufmarathon veranstaltest?«
»Ich bin
schon ein großer Junge, Dru, und ich kann darauf verzichten, dass du mir aufs
Dach
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