Nora Roberts
etwas zu essen und Kleider und hat sich um
mich gekümmert, wenn Gloria einfach für ein paar Tage verschwand. Und Gloria
hat es ihr gedankt, indem sie einmal, als Sybill nicht da war, alles stahl,
was nicht niet- und nagelfest war, und sich mit mir aus dem Staub machte.«
»Du hattest
keine andere Wahl. Kinder haben nie eine Wahl.«
»Ich
übernehme auch keine Verantwortung dafür. Ich erzähle es ja nur. Ich weiß
nicht, warum sie mich nicht einfach dagelassen hat und allein weggegangen ist.
Ich kann es mir nur so erklären, dass es wohl daran lag, dass Sybill und ich
allmählich eine Beziehung aufbauten, weil wir ...«
»Weil ihr
begannt, euch zu lieben.« Dru ergriff seine Hand und spürte, wie seine Finger
sich fest um die ihren schlossen. »Und das hat sie euch beiden nicht gegönnt,
weil sie selbst dazu nicht in der Lage war.«
Er schloss
für einen Moment die Augen. »Es hilft sehr, dass du es verstehst.«
»Hast du
etwa geglaubt, dass ich das nicht tun würde?«
»Ich weiß auch nicht, was ich
geglaubt habe. Diese Frau bringt mich
einfach immer total durcheinander. Das ist die einzige Entschuldigung, die ich
habe.«
»Spar dir
deine Entschuldigungen, und erzähl mir den Rest.«
Seth
stellte den Becher zur Seite. Der Kaffee machte seine Kopfschmerzen auch nicht
besser. »Wir haben an sehr vielen Orten gelebt, aber immer nur für kurze Zeit.
Gloria hatte viele Männerbekanntschaften. Ich wusste über Sex Bescheid, bevor
ich meinen Namen schreiben konnte. Sie war oft betrunken oder high, sodass ich
viel auf mich allein gestellt war. Wenn ihr das Geld ausging und sie keine
Drogen kaufen konnte, ließ sie es an mir aus.«
»Hat sie
dich geschlagen?«
»Ach Dru,
es tut so gut, mit dir darüber zu reden. Wie kommt es nur, dass du so viel
erahnst, wo dir diese Welt doch vollkommen fremd ist?« Er riss sich zusammen.
»Sie hat mich grün und blau geschlagen, wenn ihr danach war. Ich blieb hungrig,
wenn sie keine Lust hatte, mir etwas zu essen zu geben. Und wenn sie für ihre
Drogen mit Sex bezahlte, hörte ich im Nebenzimmer die Geräusche. Mit sechs
Jahren gab es kaum etwas, was ich noch nicht gesehen hatte.«
Die
Vorstellung machte Dru ganz krank. Am liebsten hätte sie geweint, aber sie
musste jetzt stark sein. Für ihn. »Warum haben die Sozialdienste denn nichts
unternommen, um dir zu helfen?«
Er blickte
sie für einen Moment an, als hätte sie in einer fremden Sprache geredet. »Wir
haben nicht an Orten gelebt, wo besorgte Erwachsene die Behörden über drogenabhängige
Mütter und ihre missbrauchten Kinder informieren. Gloria ist gemein, aber nicht
dumm. Ich begann darüber nachzudenken wegzulaufen, begann sogar, dafür zu
sparen. Ein Nickel hier, ein Vierteldollar da. Als ich alt genug war, hat sie
mich in die Schule gesteckt – das ver schaffte ihr mehr Zeit, um sich
herumzutreiben. Gott, wie habe ich die Schule geliebt. Das habe ich natürlich
nie zugegeben, es wäre ja ziemlich uncool gewesen, aber ich habe die Schule
geliebt.«
»Hat denn
keiner deiner Lehrer gemerkt, was vor sich ging?«
»Es ist mir
nie in den Sinn gekommen, irgendjemand davon zu erzählen.« Er zuckte mit den
Schultern. »Ich wusste ja gar nicht, dass das Leben auch anders sein konnte.
Und tief in meinem Inneren hatte ich so eine verdammte Angst vor ihr. Und dann
– ich muss damals wohl so sieben gewesen sein – hat einer der Männer, die sie
mit nach Hause brachte ...«
Seth
schüttelte den Kopf und sprang auf die Füße. Selbst nach so vielen Jahren brach
ihm beim bloßen Gedanken daran noch der Schweiß aus. »Einige von ihnen hatten
eine Vorliebe für kleine Jungs.«
Drus Herz
setzte für einen Moment aus und schlug ihr dann bis zum Hals. »Nein!«, rief sie
entsetzt.
»Ich bin
ihnen immer entwischt. Ich war nicht blöd und wusste, was es zu bedeuten hatte,
wenn einer von ihnen versuchte, mich anzufassen. Also habe ich mich versteckt.
Ich war immer schneller als sie. Es hat lange gedauert, bis ich es wieder
ertragen konnte, wenn mich jemand berührte. Ich kann nicht weitererzählen,
wenn du weinst.«
Dru
schluckte ihre Tränen um seinetwillen hinunter, schlang aber wortlos ihre Arme
um ihn.
»Du Armer«,
sagte sie mit sanfter Stimme und schaukelte ihn hin und her, während sie ihn
in den Armen hielt. »Du armer kleiner Kerl.«
Nun rang
auch er um Fassung und presste sein Gesicht an ihre Schulter. Der Duft ihrer
Haare und ihrer Haut war so rein. »Ich wollte nicht, dass du all das erfährst.«
»Hast
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