Nora Roberts
Narr ist ja
immer zu schnell gefahren. Dinge geschehen, so ist das nun einmal. Und wenn sie
anders geschehen würden,
würden wir trotzdem herumsitzen und uns darüber beschweren. Man verschwendet
eine Menge Lebenszeit auf diese Wenns und Abers, wenn du mich fragst.«
»Aber ...«
»Zum Teufel
mit > aber < . George Bailey hat seine Lektion doch auch gelernt, oder?«
Seth
rutschte verdutzt auf den Planken hin und her. »Wer?«
Stella
verdrehte die Augen. »Ist das Leben nicht schön? mit Jimmy Steward als
George Bailey. Der meinte doch, es sei besser für alle, wenn er niemals geboren
worden wäre, und da hat ihm ein Engel gezeigt, wie sich die Dinge entwickelt
hätten, wenn er tatsächlich nie zur Welt gekommen wäre.«
»Und du
willst mir das jetzt auch zeigen?«
»Sehe ich
etwa wie ein Engel aus?«, erkundigte Stella sich amüsiert.
»Nein. Aber
ich glaube wirklich, dass es besser wäre, wenn ich niemals geboren worden
wäre.«
»Wenn man
nur eine Kleinigkeit verändert, verändert man das Ganze. So ist das nun einmal.
Was wäre, wenn Ray dich nicht hierher gebracht hätte? Wenn er nicht gegen
diesen verdammten Telefonmast gefahren wäre? Vielleicht hätten sich Cam und
Anna dann nie kennen gelernt. Und vielleicht wären Kevin und Jake nie geboren
worden. Wäre dir das lieber?«
»Oh Gott,
natürlich nicht. Aber wenn Gloria ...«
»Aha!«
Stella hob mit einem zufriedenen Nicken einen Finger. »Da liegt also der Hase
begraben. Dieses ganze > wenn Gloria < oder > aber Gloria < macht doch
keinen Sinn. Gloria DeLauter ist nun einmal Realität.«
»Sie hat
sich wieder gemeldet.«
Ihr Gesicht
nahm einen weichen Ausdruck an, und ihre Stimme wurde sanfter. »Ja, mein
Schatz, ich weiß. Und das lastet auf deiner Seele.«
»Ich werde
nicht zulassen, dass sie sich wieder in mein Leben drängt. Ich werde nicht
zulassen, dass sie versucht, das Leben meiner Familie zu verpfuschen. Sie will
nichts weiter als Geld. Das hat sie immer gewollt.«
»Glaubst
du?« Stella seufzte. »Nun, wenn das so ist, wirst du es ihr wohl geben, nehme
ich an. Wieder einmal.«
»Was soll ich denn sonst tun?«
»Das wirst
du schon noch herausfinden.« Sie reichte ihm die Angel.
Und dann
erwachte Seth, auf der Bettkante sitzend, die Hand zu einer lockeren Faust
geballt, als halte er tatsächlich eine Angel fest.
Als er die
Finger öffnete, zitterten sie ein wenig. Er atmete tief ein und hätte schwören
können, dass er den schwachen Duft von Sommergras roch.
Komisch,
dachte er und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. Was für ein seltsamer
Traum. Und Seth meinte, immer noch die Wärme an der Stelle spüren zu können, wo
sein Hund ihn berührt hatte.
Die
ersten zehn Jahre
seines Lebens waren ein Albtraum aus Furcht, Gewalt und Vernachlässigung
gewesen. Das hatte ihn stärker gemacht als andere Jungen seines Alters. Und
auch sehr viel misstrauischer.
Ray Quinns
Affäre mit einer Frau namens Barbara Harrow, die er vor Stella kennen gelernt
hatte, war nur von kurzer Dauer gewesen. Er hatte sie aus seinem Gedächtnis gestrichen,
und daher wussten seine drei Adoptivsöhne auch nichts von der Geschichte.
Genauso wenig wie Ray von dem Kind wusste, das aus dieser Affäre entstanden
war.
Gloria
DeLauter.
Aber Gloria
hatte gewusst, dass Ray ihr Vater war, und ihn aufgespürt. Sie hatte Drohungen
ausgestoßen und Erpressungsversuche unternommen, um Ray auszunehmen. Und
schließlich hatte sie ihren Sohn an ihren Vater verkauft. Aber Ray war
gestorben, bevor er die Gelegenheit gefunden hatte, seinen Söhnen und seinem
Enkel von der Verbindung zu erzählen.
Für die
Quinn-Brüder war Seth nur ein weiterer von Ray Quinns Herumstreunern gewesen.
Sie waren lediglich durch das Versprechen an ihn gebunden gewesen, das sie einem
sterbenden Mann gegeben hatten. Aber das hatte ihnen gereicht.
Sie hatten
für Seth ihre Leben umgekrempelt. Hatten ihm ein Zuhause gegeben, waren für ihn
eingestanden, hatten ihm gezeigt, was es bedeutete, Teil einer Familie zu
sein. Und sie hatten darum gekämpft, ihn behalten zu dürfen.
Anna war
seine Sozialarbeiterin gewesen, Grace seine erste Ersatzmutter. Und Sybill,
Glorias Halbschwester, hatte die einzigen guten Erinnerungen an seine Kindheit
wieder aufleben lassen.
Er wusste,
wie viel sie alle geopfert hatten, um ihm ein neues Leben zu ermöglichen. Ein
Leben, das so anständig war wie Ray Quinn. Und als Gloria nach Rays Tod wieder
auf der Bildfläche erschien, in der Hoffnung, bei seinen Brüdern Geld
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