Nora Roberts
absahnen
zu können, da war er bereits einer von ihnen gewesen.
Gloria
hatte aber auch versucht, Geld von Seth selbst zu bekommen. Er hatte drei Jahre
gehabt, um sie zu vergessen, um sich im Kreise seiner neuen Familie sicher zu
fühlen. Dann war sie wieder in St. Chris aufgetaucht und hatte von einem
vierzehnjährigen Jungen Geld erpresst.
Davon hatte
er seiner Familie nie erzählt.
Ein paar
hundert Dollar waren es das erste Mal gewesen. Mehr hatte er nicht
zusammenkratzen können, sonst hätten seine Brüder es herausgefunden. Damit war
sie zufrieden gewesen. Für eine kleine Weile.
Er hatte
ihr jedes Mal etwas gezahlt, wenn sie zurückgekommen war – bis zu seiner Flucht
nach Europa. Seine Zeit dort hatte nicht nur der Arbeit und dem Studium gedient,
sondern war für ihn zudem eine Möglichkeit gewesen, dieser Frau zu entkommen.
Sie konnte
seiner Familie nichts anhaben, wenn er nicht zu Hause war – und sie konnte ihm
nicht über den Atlantik folgen.
Das hatte
er zumindest geglaubt.
Sein Erfolg
als Künstler und die daraus resultierende Publicity hatten Gloria allerdings
auf neue Ideen gebracht, und ihre Forderungen waren immer höher geworden.
Seth fragte
sich nun, ob es ein Fehler gewesen war, nach Hause zurückzukehren, ganz gleich,
wie sehr er sich auch danach gesehnt hatte. Gloria zu bezahlen war auf jeden
Fall falsch, das war ihm klar. Aber Geld bedeutete ihm nichts, seine Familie
dagegen alles.
Bei Ray war
es wohl genauso gewesen.
Eigentlich
wusste Seth, dass es das Vernünftigste gewesen wäre, Gloria zu sagen, sie
solle sich zum Teufel scheren, oder sie einfach zu ignorieren und es darauf
ankommen zu lassen.
Aber dann
erhielt er wieder eine ihrer Nachrichten oder begegnete ihr von Angesicht zu
Angesicht, und schon hatte sie ihn in ihren Klauen. Er drohte zwischen den
Nachwirkungen seiner traurigen Kindheit und dem verzweifelten Bedürfnis, die
Menschen, die er liebte, zu beschützen, zerrieben zu werden.
Und so
bezahlte er mit mehr als nur mit Geld.
Er kannte
Glorias Vorgehensweise. Sie würde nicht sofort auf seiner Türschwelle
auftauchen. Sie ließ ihn immer erst ein wenig schmoren, damit er begann, sich
Sorgen zu machen und über alles nachzugrübeln, bis ihm zehntausend Dollar wie
ein guter Preis für seinen Seelenfrieden erschienen. Sie würde nicht in St.
Chris bleiben, würde es nicht riskieren, von seinen Brüdern oder Schwestern
gesehen und erkannt zu werden. Aber sie würde sich weiter irgendwo in der
Nähe aufhalten.
Es mochte
übertrieben, ja, paranoid klingen, aber Seth glaubte ihren Hass und ihre
Habgier wie einen heißen Atem in seinem Nacken spüren zu können.
Doch dieses
Mal würde er nicht wieder fortlaufen. Er würde sich
kein zweites Mal seines Heims und seiner Familie berauben lassen. Er würde
tun, was er schon vorher getan hatte: sich in seiner Arbeit verlieren und
leben. Bis sie wieder auftauchte.
Es war ihm
gelungen, Dru zu einer zweiten morgendlichen Malsitzung zu überreden. Von der
Sitzung in der Woche zuvor wusste er, dass sie von ihm erwartete, dass er alles
vorbereitet hatte, wenn sie um Punkt halb acht eintraf. Er sollte sofort mit
der Arbeit beginnen, um dann genau sechzig Minuten später aufzuhören.
Und um
sicherzugehen, dass er dies auch tat, hatte sie einen kleinen Küchenwecker
mitgebracht.
Die Frau
hatte einfach kein Verständnis für eine Künstlerseele. Aber das machte Seth
nichts aus – in seinen Augen besaß er nämlich gar keine Künstlerseele.
Er benutzte
Pastellkreide, um zunächst einmal eine grundlegende Studie anzufertigen. Es war
eine Erweiterung der Kohlezeichnung. Eine Möglichkeit für ihn, ihr Gesicht
kennen zu lernen, ihre Stimmungen, ihre Körpersprache, bevor er zu den
eigentlichen Porträts überging, die er in seinem Kopf bereits geplant hatte.
Er hatte
das Gefühl, als ob all die Zeichnungen und Porträts der verschiedenen Modelle,
die er im Laufe seiner Karriere angefertigt hatte, nichts weiter als bloße Übungen
für seine Arbeit mit Drusilla gewesen wären.
Sie
klopfte. Seth hatte ihr erklärt, dass das nicht notwendig sei, aber sie
behielt diese formelle Distanz zwischen ihnen bei. Das muss sich bald ändern,
dachte er, als er auf die Tür zuging.
Es durfte
keine Förmlichkeit, keine Distanz zwischen ihnen stehen, wenn er sie so malen
wollte, wie er sie einfach malen musste.
»Pünktlich
wie immer. Welch eine Überraschung. Möchtest du einen Kaffee?«
Er hatte
sich die Haare schneiden lassen. Sie waren immer
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