Nora Roberts
und
spuckte in seine eige ne Handfläche. Dann schüttelten sie einander mit ernsten
Gesichtern die Hände.
Seth
hatte nicht die
Ruhe, nach Hause zu gehen. Er brauchte ein wenig Zeit, bevor er seiner Familie
gegenübertreten konnte, da ihn die Sache mit dem Kuss doch ziemlich aufgewühlt
hatte.
Am liebsten
wäre er sofort zu Dru zurückgeeilt, um ihr zu sagen, wie sehr sie
danebengetippt hatte, wie beleidigend ihr Vorwurf gewesen war und wie
unberechtigt.
Aber eine
innere Stimme warnte ihn, dass er im Augenblick noch nicht in der Verfassung
war, eine vernünftige Unterhaltung mit Dru zu führen.
Sie hatte
ihn dazu gebracht, an sich selbst zu zweifeln, und das saß wie ein Stachel in
seinem Herzen. Er hatte sich sein Selbstbewusstsein im Laufe der Jahre hart
erarbeitet, hatte sich große Mühe gegeben, sich beruflich und auch als Mensch
weiterzuentwickeln. Und er hatte nicht vor, all das von irgendeiner Frau
erschüttern zu lassen.
Damit war
die Sache zwischen Dru und ihm wohl schon vorbei, bevor sie überhaupt richtig
begonnen hatte. Er würde sie malen, weil er es einfach tun musste. Aber das
würde auch alles sein.
Er hatte es
wirklich nicht nötig, sich mit einer Frau einzulassen, die so kompliziert war,
so unberechenbar und so verdammt rechthaberisch.
Es war an
der Zeit, die Dinge etwas ruhiger angehen zu lassen, sich auf die Arbeit und
die Familie zu konzentrieren. Er wollte erst einmal die eigenen Probleme
lösen, bevor er sich die anderer Leute aufhalste.
Seth parkte
am Atelier und schleppte seine Ausrüstung und die Leinwand die Stufen hinauf.
Von seinem neuen Telefon aus rief er zu Hause an und ließ Anna wissen, dass er
zum Abendessen nicht da sein würde.
Dann
schaltete er Musik ein und begann, weiter an dem Aquarell zu arbeiten.
Genau wie
beim Segeln verschwanden seine Sorgen, sein Ärger und seine Probleme, sobald er
zu malen begann. Schon als Kind hatte er sich immer ins Zeichnen geflüchtet.
Manchmal war es dabei für ihn ums schiere Überleben gegangen und manchmal nur
darum, gegen die Langeweile anzukämpfen. Aber das Malen hatte ihm immer Freude
bereitet.
In seinen
späten Teenagerjahren hatte er sich mit einem schlechten Gewissen und mit
Zweifeln gequält, weil er für seine Kunst niemals gelitten hatte, niemals das
Drama eines emotionalen Konflikts empfunden hatte.
Als er Cam
dies eines Tages anvertraut hatte, hatte ihn sein Bruder nur angestarrt und
»Dir geht's wohl zu gut, was?« gefragt.
Und das war
genau die richtige Reaktion gewesen, um Seth aus seiner Beschäftigung mit sich
selbst und all seinen Zweifeln zu reißen.
Manchmal
gab es allerdings Zeiten, in denen sich ein Bild, das er im Kopf hatte,
sozusagen weigerte, auf die Leinwand gebannt zu werden. Und dann wieder gab es
Momente, in denen alles wunderbar lief und die Bilder wie von selbst
entstanden.
Durch die
Fenster drang nicht genug Licht, und so öffnete Seth zunächst die Oberlichter,
bevor er auf die Leinwand zutrat und das Bild von Dru betrachtete.
Die Farben
besaßen eine ganz besondere Dynamik – das Grün des Rasens und der Blätter, das
sonnendurchtränkte Bernstein des Wassers, das satte Rot der Decke und das
milchige Weiß von Drus Haut. Seth betrachtete die Wölbung ihrer Schulter, den
Winkel ihres Arms, die Konturen der Decke. Auf Drus Gesicht schimmerte ein
sanftes Licht, das seinen verträumten Ausdruck betonte.
Er konnte
nicht erklären, wie es ihm gelungen war, diese Stimmung einzufangen. Genauso
wenig wie er Dru zu erklären vermocht hatte, woran er beim Malen dachte. Das
Malen geschah bei ihm ebenso unbewusst wie das Atmen. Seth griff nach dem
Pinsel und machte sich wieder an die Arbeit.
Später, als
er vollständig bekleidet ins Bett fiel und sofort einschlief, hatte er ein
Bild von Drusilla im Kopf, wie sie neben ihm schlief.
»Wie
willst du es
nennen?«, fragte Stella ihn.
Sie standen
vor der Staffelei und betrachteten das Bild im hellen Schein des Atelierlichts.
»Ich weiß es nicht. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht.«
»Schlafende
Schönheit«, schlug
Stella vor. »So würde ich es nennen.«
Sie trug
ein weites Cambrai-Hemd, ausgebeulte Jeans und dazu flache Segeltuchschuhe, die
aussahen, als hätte sie schon viele Meilen darin zurückgelegt. Als sie sich bei
Seth am Arm einhängte, konnte er den schwachen Zitronenduft ihres Shampoos
riechen.
»Wir sind
stolz auf dich, Seth. Nicht so sehr wegen deines Talents, das hat dir Gott in
die Wiege gelegt. Aber weil du diesem Talent treu
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