Nora Roberts
Junge«, murmelte Stella. »Diese Frau hat es nicht geschafft,
dir dein reines Herz zu verderben, ganz gleich, wie sehr sie sich auch bemüht
hat. Sie hat dich nie verstanden, und deshalb ist es ihr immer so leicht
gefallen, dir wehzutun.«
Jetzt
sprach sie nicht mehr über Dru, sondern über Gloria, das war Seth klar. »Ich
möchte nicht an sie denken. Sie kann mir nicht mehr wehtun.«
»Wirklich
nicht? Es wird Arger geben. Den gibt es ja immer. Sei stark Seth, sei klug,
und bleib dir immer treu, hörst du? Du bist nicht allein. Du wirst niemals
allein sein.«
»Geh nicht
weg.«
»Du bist
nicht allein«, wiederholte Stella.
Aber als
Seth aufwachte und das Licht der frühen Morgensonne durch sein Fenster fiel,
da fühlte er sich schrecklich allein.
Und er
fühlte sich noch schlimmer, als er den zusammengefalteten Zettel erblickte,
der unter der Tür hindurchgeschoben worden war. Er zwang sich, aufzustehen,
hinüberzugehen und ihn aufzuheben.
Lucy's
Diner, neben dem By-Way Hotel an der Route 13.
Heute Abend um elf.
Bring das Geld mit.
»Es wird
Ärger geben. Den gibt es ja immer.« Seth meinte das Echo von Stellas Stimme zu
hören.
Zehn
In
Aubrey brodelte es.
Die Sache mit Seth ließ ihr einfach keine Ruhe. Sie steigerte sich immer weiter
in ihre Wut hinein, und diese Wut sagte ihr klar und deutlich, dass sich jemand
Drussilla Whitcomb Banks einmal gründlich vornehmen sollte. Und dieser Jemand
war sie.
Da sie mit
Seth eine Abmachung getroffen hatte, konnte sie sich weder an ihre Mutter noch
an ihren Vater wenden. Und sie konnte auch nicht zu Sybill gehen, um sich eine
psychologische Einschätzung bei der Fachfrau zu besorgen. Auch der Weg zu Anna
war ihr versperrt, bei der sie sonst immer all ihre Wut und ihren Groll
loswurde.
Als Aubrey
die Bootswerkstatt um fünf Uhr verließ, machte sie sich sofort auf den Weg zu
Dru.
Unterwegs
im Auto übte sie schon einmal die kühlen, kontrollierten, rasiermesserscharfen
Worte, mir denen sie die kleine Miss Perfect zurechtstutzen würde.
Jemand, der
Seth unglücklich machte, durfte nicht ungestraft davonkommen.
Wenn man
sich mit einem Quinn anlegt, dachte sie, während sie ihren Pick-up in eine
Parklücke zurücksetzte, legt man sich mit allen an.
Dann
marschierte sie in ihren Arbeitsstiefeln, dem dreckigen
T-Shirt und ihrer abgetragenen Jeans in den Blumenladen hinein.
Oh ja, sie
ist wirklich perfekt, dachte Aubrey, während sie Dru dabei beobachtete, wie sie
einen Strauß Gänseblümchen für Carla Wiggings einwickelte. Dru trug eine
roséfarbene Seidenbluse und eine steingraue Hose aus einem fließenden Stoff –
wahrscheinlich auch Seide. Aubrey begann langsam sauer auf sich selbst zu
werden, weil sie diesen exklusiven, legeren Look insgeheim bewunderte.
Dru schaute
auf. Was als ein höflich-freundliches Lächeln begonnen hatte, schlug schnell
in ein vorsichtiges um, als sie Aubreys wütenden Blick auf sich ruhen sah.
Carla, wie
immer redselig und strahlend, drehte sich um. »Hallo, Aubrey. Das war ja ein
Spiel gestern? Jeder in der Stadt spricht von deinem Homerun. Alle Bases waren
besetzt«, erklärte sie Dru, »und Aub hat diese Rockfish-Typen fertig
gemacht.«
»Ach, wirklich?«
Dru hatte die Geschichte an diesem Tag schon mindestens ein halbes Dutzend Mal
gehört. »Meinen Glückwunsch.«
»Wenn ich
am Schlag bin, will ich auch gewinnen.«
»Ich habe
beinahe einen Herzanfall bekommen, als der Ball durch die Luft flog.« Carla schlug
sich mit der flachen Hand auf die Herzregion. »Jed schwebt immer noch irgendwo
da oben. Er bekam einen Freilauf«, erläuterte sie Dru, »um alle Bases zu
besetzen, bevor Aubrey an den Schlag kam. Na, ist ja auch egal. Jedenfalls habe
ich für heute Abend seine Eltern eingeladen – damit wir noch mal über die Pläne
für die Hochzeit reden können –, und als ich gerade dabei war, alles schön
aufzuräumen – ich habe mir extra einen halben Tag freigenommen –, da fiel mir
ein, dass ich ja gar keine Blumen für den Tisch habe. Es gibt Spaghetti und
Fleischklöße. Das ist Jeds Lieblingsgericht. Alles ganz zwanglos. Dru hat mir
zu Gänseblüm chen geraten. Sie sagte, die würden sehr gut in der roten Vase
aussehen, die ich habe. Was meinst du?«
Aubrey warf
einen Blick auf die Blumen und zuckte kurz mit den Schultern. »Die sind hübsch.
Wirken irgendwie heiter, würde ich sagen.«
»Das ist
es. Genau so soll es sein.« Carla strich sich hektisch durch das dünne blonde
Haar. »Ich weiß gar nicht, warum ich
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