Noras Erziehung
entscheiden. Und so bot mir die Orientierungswoche ein verwirrendesSortiment erstklassiger männlicher Talente. Allein der Informationsstand des Ruderclubs reichte aus, um meine Knie zum Zittern zu bringen. Nichts als schlanke, muskulöse junge Männer, von denen keiner unter eins achtzig war. Einige von ihnen trugen Monturen, die nur wenig der Phantasie überließen. Hätte ich die freie Wahl gehabt, ich hätte vier oder fünf der Besten auf mein Zimmer gebeten, um mich abwechselnd von ihnen benutzen zu lassen. Aber selbst, wenn sie sich darauf eingelassen hätten, konnte ich so etwas nicht riskieren. Jedenfalls nicht, solange ich nicht damit umgehen konnte, wenn einer von ihnen zwanzig Jahre später «interessante Erinnerungen» an mich veröffentlichte. Alle auf einmal ging also nicht, dennoch sprach nichts dagegen, sie einzeln zu testen. Heutzutage wird schließlich von niemandem mehr erwartet, im Zölibat zu leben. Um genau zu sein, kann ein allzu puritanisches Image fast ebenso viel Schaden anrichten – besonders, wenn es darum geht, durch männliche Kollegen etwas Steigbügelhilfe zu bekommen.
Ich war immer noch hin und her gerissen zwischen einem Blonden, der locker für eine griechische Statue hätte Modell stehen können, und einem dunkleren, größeren Kerl mit dem intensivsten, stechendsten Blick, den ich je gesehen hatte. Doch die Entscheidung zwischen den beiden Männern wurde mir leider recht schnell abgenommen, als beide sich kurz nacheinander vom Stand des Ruderclubs entfernten. Der blonde, junge Gott lief zum Stand der Lesben- und Schwulenvereinigung, wo er dem Mann, der dahinterstand, sofort einen Kuss aufdrückte. Und der große, dunkle Kerl ging zu einem Stand für Börsenhandel, hinter dem ein Mann stand, der wie ein hochintelligentes Wiesel mit Brille aussah.
Mein großer, dunkler Mann stellte sofort eine Frage, die eine komplizierte Erklärung des Wiesels nach sich zog. Ich näherte mich den beiden mit einem, wie ich hoffte, intelligenten Gesichtsausdruck und wartete auf den richtigen Moment. Und irgendwann hörte das Wiesel tatsächlich auf zu reden und wandte sich an mich.
«Kann ich dir irgendwie helfen?»
«Das scheint hier sehr ungewöhnlich für eine Vereinigung.»
Seine Antwort fiel äußerst herablassend aus. «Finde ich eigentlich nicht. Das Ganze ist allerdings eher für wohlhabende Studenten gedacht.»
«Wie läuft es denn ab?»
«Kurz gesagt, formen wir eine Investment-Kooperative, innerhalb der wir mit Aktien, Termingeschäften und so weiter handeln können, wobei wir unsere Kosten so gering wie möglich halten und dabei gleichzeitig Erfahrungen am Markt sammeln können. Das Ganze richtet sich an Studenten, die in den Finanzsektor gehen, und die niedrigste Investitionssumme beträgt zehntausend Pfund.»
Der letzte Satz war ganz offensichtlich dazu gedacht, mich zu verscheuchen. Und da die Summe höher war als das, was Dad mir für das ganze Jahr gegeben hatte, wäre seine Bemerkung tatsächlich dazu angetan gewesen, mich abzuschrecken – vorausgesetzt, das Ganze hätte mich auch nur im Geringsten interessiert. Ich nickte dennoch eifrig und richtete eine Frage an meinen großen, dunklen Mann.
«Hältst du die Sache für eine gute Idee?»
«Ja, zweifellos. Allerdings mehr als Erfahrung und nicht als Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber das Ganze ist durchaus auch eine Chance, um Kontakte im Bankenviertel von London zu knüpfen.»
«Ich habe vor, irgendwann mal in die Politik zu gehen, aber …» Ich verstummte in der Hoffnung, den Eindruck erweckt zu haben, dass ich die Investition von zehntausend Pfund zumindest in Erwägung zog. Als das Wiesel mit seinen Erklärungen fortfuhr, gab er sich zwar Mühe, mich einzubeziehen, aber da ich meinen Eröffnungs-Flirt an den Mann gebracht hatte, ging ich ziemlich schnell wieder. Mein großer, dunkler Mann blieb noch gute zehn Minuten an dem Stand stehen, bevor er sich auf den Weg zum Kaffeestand machte. Und dort ging ich dann direkt auf ihn los.
«Und, was meinst du? Wirst du dich der Vereinigung anschließen?»
«Ich denke schon. Zumindest für ein Jahr.»
«Ich bin mir nicht sicher. Die Sache scheint riskant, und ich suche eigentlich nach anderen Kontakten.»
«Dann würde ich nicht mitmachen.»
«Danke. Ich bin übrigens Nora. Nora Miller, Ersttrimester Philosophie, politische Wissenschaften und Wirtschaft in St. Boniface.»
«Stephen Mitchell. Hi.»
Er streckte mir eine riesige Hand entgegen,
Weitere Kostenlose Bücher