Noras großer Traum (German Edition)
Jahresurlaubs gezögert, und da hat er mir dann sofort erklärt, dass er andernfalls kündigen würde.«
Lisa war hinter seinen Stuhl getreten und legte ihre Hände auf seine Schultern.
»Bill, nimm ihm das nicht übel. Er hat es sehr schwer gehabt, und wenn ihm jetzt – nach so langer Zeit – einmal wieder jemand wirklich wichtig ist, dann sollten wir ihm das gönnen und ihn unterstützen.«
Bill nickte noch einmal gedankenverloren, bevor er sich aufraffte und nach seinem Telefon griff.
»Du hast Recht. Gut, ich werde gleich in Alice Springs anrufen.«
Tom hatte Wort gehalten und sich in Sydney ein Hotelzimmer genommen. Jeden Tag verbrachte er mit Nora, die unter seiner Zuwendung förmlich aufblühte. So oft es ging, versuchten sie der Enge des Krankenzimmers und den Augen des Stationspersonals zu entfliehen und hielten sich in der Parkanlage auf. Auch wenn Nora zuweilen die Angst packte, sich eines nicht allzu fernen Tages von Tom trennen zu müssen, waren beide stillschweigend übereingekommen, nicht mehr daran zu denken und die verbleibende Zeit miteinander zu genießen. Nora hatte inzwischen begonnen, das operierte Bein zu belasten. Auch hier arbeiteten die Zeit, ihr Wille und Toms Unterstützung für sie. Manchmal hatte sie Furcht vor ihren eigenen Gefühlen; sie liebte ihn mit einer solchen Intensität, dass sie sich ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen konnte. Trotzdem hatte sie eine grenzenlose Sehnsucht nach ihrer Familie, ihren Kindern. Sie war sich schmerzlich bewusst, dass es nur das eine oder das andere geben konnte – ein Leben ohne ihren Sohn und ohne ihre Tochter aber war einfach undenkbar für sie. Tom hatte das ebenfalls erkennen müssen. Doch obwohl sich in der Stille seines Hotelzimmers häufig die Verzweiflung über die Ausweglosigkeit aus dieser Situation in ihm breit zu machen drohte, war er nicht bereit, hier in Sydney auch nur auf einen einzigen Moment mit ihr zu verzichten. Wenigstens hier in Australien sollte sie ihm gehören.
Nora war glücklich mit Tom. Sowohl ihre physische als auch ihre psychische Verfassung hatten sich deutlich verbessert. Die langen Aufenthalte an der frischen Luft vertrieben ihre Krankenhausblässe, und die Sonne zauberte wieder helle, goldene Reflexe in ihr Haar. Jeden Tag sah sie Tom vor ihrem Zimmer mit erwartungsvoll strahlenden Augen entgegen, und wenn sich am Ende des Stationsflurs die Fahrstuhltüren öffneten, er den Lift verließ und lächelnd auf sie zukam, schlug ihr Herz schneller.
Nachdem Nora nicht mehr so rasch ermüdete, ihre Genesung weiter voranschritt und sie schon mit nur noch einer Gehhilfe zurechtkam, hatte Tom einen Wagen gemietet, um ihr Sydney, die heimliche Hauptstadt Australiens, zu zeigen. Noras behandelnder Arzt hatte nach einem Gespräch mit Tom die Tagesausflüge in der Obhut seines Kollegen genehmigt. Am berühmten Circular Quay, dem Tor zum Hafen, genossen sie die Freizeitatmosphäre und beobachteten Musikanten, Straßenhändler und Büroangestellte in der Mittagspause, bevor sie eines der Ausflugsschiffe bestiegen, um sich bei einer Rundfahrt alles anzusehen. Nora stellte fest, dass Sydneys Hafen mit Recht als einer der schönsten der Welt bezeichnet wurde. Obwohl sie schon vieles über die Stadt wusste, machte es ihr unglaubliche Freude, an Tom gelehnt seiner Stimme zuzuhören, die ihr jetzt einiges über die berühmte Harbour Bridge verriet, die zusammen mit dem Opernhaus sicherlich zu den bekanntesten Wahrzeichen Sydneys gehörte. Tom legte einen Arm um ihre Schultern.
»Weißt du, dass die Harbour Bridge Mitte der dreißiger Jahre als Symbol der Hoffnung in der Weltwirtschaftskrise gebaut wurde?«
Nora nickte lächelnd. »Ja, aber erzähl es mir ruhig noch einmal. Ich höre dir schrecklich gern zu.«
Er drückte sie an sich und fuhr fort: »Sie bildet heute noch die Hauptverbindung zwischen den nördlichen und südlichen Vorstädten, obwohl es seit 1992 einen sicherlich weniger romantischen Tunnel gibt, der sie in dieser Funktion unterstützt. Der Südostpfeiler der Brücke beherbergt neben der Aussichtsplattform auch ein kleines Museum zum Brückenbau. Mal sehen, vielleicht schaffen wir es ja noch, dort vorbeizuschauen.« Er sah sie prüfend an. »Bist du schon müde? Oder hast du Schmerzen?«
Sie schüttelte den Kopf. Sie war einfach nur glücklich.
Während die Zeit, die sie zuvor allein im Krankenhaus verbracht hatte, für sie im Schneckentempo vergangen war, verflogen die Tage mit Tom im Handumdrehen.
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