Noras großer Traum (German Edition)
jetzt mit einer Leidenschaft liebte, die man vielleicht nur mit der eines Ertrinkenden vergleichen konnte, der versuchte irgendwo Halt zu finden. Er war sich des bevorstehenden Abschieds schmerzlich bewusst, und irgendwo in seinem Hinterkopf hatte er die grausame Gewissheit verdrängt, dass er sie bald würde gehen lassen müssen. Mit einer Mischung aus Liebe und Verzweiflung atmete er den Duft ihrer Haut und war sich sicher, nie wieder etwas Vergleichbares zu erleben.
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M ax war es gelungen, die Wolken, die am Himmel seines beruflichen Erfolgs aufgezogen waren, zu vertreiben. Wie immer waren ihm sein Können, aber auch seine Erfahrung und die Diplomatie, mit der vorging, dabei von großer Hilfe gewesen. Die Kinder hatten ihn stürmisch begrüßt und mit Fragen nach ihrer Mutter überhäuft. Nach dem Stress der ersten Bürotage hatte er begonnen, früher nach Hause zu kommen, um für Niklas und Marie da zu sein. Er hatte immer noch ein schlechtes Gefühl, Nora allein in Sydney zurückgelassen zu haben, besonders jetzt, da er die Situation im Verlag wieder im Griff hatte. Obwohl seine Schwiegermutter kein Wort über den Grund seiner Rückkehr verlor, spürte er, dass auch sie es missbilligte, dass er Nora allein gelassen hatte. Wenn die Kinder schliefen, hatte er so viel Zeit, über ihr gemeinsames Leben nachzudenken, wie noch nie zuvor in den sechzehn Jahren, die sie nun schon zusammen waren. An den langen Abenden hier in seinem Haus stiegen immer häufiger Erinnerungen an Szenen aus ihrem bisherigen Leben in ihm auf. Glückliche Momente wie die Geburten ihrer Kinder, bei denen er dabei gewesen war. Er hätte platzen können vor Freude. Nie hatte er sich Nora näher gefühlt. Aus ihrer Liebe zueinander war so etwas Wunderbares und absolut Einzigartiges entstanden. Er lächelte, als er an die darauf folgende Zeit dachte; gemeinsame Urlaube, in denen sie begonnen hatten, ihren Kindern die Welt zu zeigen. Er erinnerte sich, wie Nora vor dem ersten Flug mit den Kindern seine Hand gedrückt hatte, um ihn auf die Aufregung in deren Gesichtern aufmerksam zu machen. Er sah sich mit ihr am ersten Schultag seines Sohnes. Niklas hielt die Schultüte, die fast so groß war wie er selbst, und lächelte unbekümmert mit einer riesigen Zahnlücke in die Kamera. Sein erstes Judo-Turnier. Gemeinsam hatten Nora und er auf der Bank gesessen und zugesehen. Dann die Einschulung ihrer Tochter. Er erinnerte sich daran, wie schwer es Nora insgeheim gefallen war, nun auch ihre »Kleine« loslassen zu müssen. Später hatten ihre Augen stolz geleuchtet, als sie ihm von den Fortschritten ihrer Tochter beim Reiten berichten konnte. Marie hatte sich als echtes Naturtalent entpuppt. Wann, überlegte er, hatte er aufgehört, sich das alles bewusst zu machen, es vielleicht sogar als selbstverständlich hinzunehmen? Jetzt erst merkte er, was Nora ihm schon so lange hatte klar machen wollen.
Er fuhr sich durch das kurze dunkle Haar. Nun war sie doch noch zu ihm durchgedrungen. Wie oft hatte sie ihm schon gesagt: »Du wirst erst aufwachen, wenn es womöglich zu spät ist, Max. Nie denkst du darüber nach, was wirklich wichtig ist im Leben.« Und jedes Mal hatte er diese Sätze als allzu pathetisch beiseite geschoben.
Nachdenklich stand er auf und sah aus dem Fenster in den Garten, in dem ein scharfer Wind das bunte Laub durcheinander wirbelte. Wie schön wäre es jetzt, wenn er mit ihr durch die Wärme Sydneys bummeln könnte. Warum hatten sie das nicht schon längst einmal verwirklicht? Er verstand plötzlich nicht mehr, warum er es einem Fotografen seines Verlags überlassen hatte, ihr das Land zu zeigen, für das sie sich so begeisterte. Warum war er nicht selbst mit ihr aufgebrochen? Nie hatte er Zeit gehabt, besonders nicht für Nora. Er spürte Wut in sich aufsteigen, als er daran dachte, dass er ihr nicht einmal wirklich zur Seite gestanden hatte, als ihre beste Freundin gestorben war. Sicher, bei der Beerdigung war er dabei gewesen, aber sofort danach hatte er geschäftlich nach London gemusst. Nora hatte so einen gefassten Eindruck gemacht, stand den Kindern zur Seite und auch Alexander. Sie hatte gar nicht den Anschein erweckt, selbst Hilfe zu brauchen. Sie war so stark gewesen. Oder hatte er das nur glauben wollen? Max griff nach seinem Weinglas und betrachtete den golden schimmernden Weißwein, bevor er das Glas leerte.
Wie Nora bereits vermutet hatte, erhielt sie Anfang der Woche die Erlaubnis, den Heimflug anzutreten. Als sie wenig
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