Noras großer Traum (German Edition)
Töchter und verwandelte sie in Felsen. Das nun erst recht böse gewordene Bunyip verfolgte jetzt den Vater. Tyawan verwandelte sich rasch in einen Leierschwanzvogel. Leider verlor er dabei sein Zauberknöchelchen und konnte seine Töchter nicht mehr zurückverwandeln. Wer heute dem klagenden Ruf dieses Vogels lauscht, meint immer noch, es sei Tyawan, der nie aufgehört hat, nach seinem Knöchelchen zu suchen, um seine Töchter zurückzuverwandeln.«
Nora, die ihm gespannt zugehört hatte, seufzte tief. »Was für eine wunderschöne Geschichte.«
Tom lachte nun. »Na, ich weiß nicht, ob du es so wunderschön finden würdest, wenn deine Kinder in Felsen verzaubert würden.«
Nora und Tom genossen den Abend in Springwood, obwohl der Himmel sich zugezogen hatte und ihnen keine großzügige Aussicht vergönnte. Allein der Gesang der Vögel, der hier so anders, so exotisch klang, ließ Nora deutlich empfinden, dass sie noch in Australien war. Der Great Western Highway führte sie am nächsten Morgen nach Katoomba, wo sie einige Stunden am Aussichtspunkt Echo Point und in der Umgebung verbrachten. Staunend ließ Nora langsam ihren Blick schweifen. Aus einem breiten, dicht bewaldeten Tal erhoben sich die Sandsteinfelsen, die ebenfalls noch mit Bäumen bewachsen waren und im oberen Bereich schließlich mit den bekannten Felsformationen Three Sisters endeten. Ihre Zacken, Furchen und Narben hoben sich überdeutlich vor dem blauen, leicht dunstigen Himmel ab. Die Sonne ließ das Gelb der darunter liegenden Sandsteinklippen in Gold-, Ocker- und Bronzetönen leuchten und das Grün der dichten Eukalyptuswälder im Tal besonders dunkel erscheinen. Nach der Enge der Krankenhauszimmer fühlte Nora hier förmlich den Atem der Freiheit. Tom hatte gespannt ihr Gesicht beobachtet. Er war hinter sie getreten und schlang beide Arme um sie. Sie fühlte seine Lippen an ihrem Ohr.
»Und? Bereust du es, mitgekommen zu sein?«
Sie seufzte und schmiegte sich an ihn. »Du weißt ganz genau, dass man bei diesem Anblick gar nichts bereut.« Sie konnte ihre Augen noch immer nicht von dem Tal abwenden. »O Tom, ich glaube, du willst es mir so schwer wie möglich machen.«
»Das kann schon sein, mein Herz.« Er lächelte sie mit ernsten Augen an. »Zumindest möchte ich, dass du dich immer an unsere Zeit hier erinnerst. Vielleicht änderst du ja eines Tages deine Meinung.«
Sie hatte sich zu ihm umgewandt und spielte mit der Kordel seiner Sweatshirtkapuze. Sosehr sie die Stunden mit ihm genoss, war es ihr nicht möglich gewesen, das Bild einer großen Uhr aus ihrem Kopf zu bekommen, die ihr unweigerlich die Zeit bis zum endgültigen Abschied anzeigte. Danach würden mehr als zwanzigtausend Kilometer zwischen ihnen liegen. Ständig versuchte sie diese Gedanken beiseite zu schieben, doch wenn sie nicht daran dachte, schien es Tom unweigerlich zu tun. Und so war die bevorstehende Trennung zwischen ihnen beinahe ständig präsent. Beide suchten die Nähe des anderen, wie um sich zu vergewissern, dass er noch da war. Nora sah von der Kordel auf – direkt in Toms dunkle Augen. Sie beabsichtigte eigentlich, ihm noch einmal klar zu machen, dass ihr Entschluss endgültig sei. Sie wollte nicht, dass er auf sie wartete, sein Leben vergeudete. Doch unter seinem Blick schmolz jeglicher Widerstand, und alles, was sie hatte sagen wollen, verschwand aus ihrem Kopf. Sekundenlang sahen sie sich an, bevor sein Kuss sie wie ein leichter elektrischer Schlag traf. Beiden war nicht bewusst, wie sie wieder in den Ort gelangt waren. Die unsägliche Spannung aus Liebe zueinander und verzweifelter Verdrängung des bald anstehenden Abschiednehmens ließ Nora seine Liebe mit einer solchen Intensität erleben, dass sie in diesen Momenten die Ahnung streifte, dass ihre Entscheidung vielleicht doch nicht richtig war. Als sie in Toms Arm an seiner Brust lag und seinen Herzschlag hörte, war sie nicht in der Lage, sich ein Leben ohne ihn vorzustellen.
Am Freitag kehrten sie nach Sydney zurück, von wo aus Nora am darauf folgenden Morgen den Heimflug antreten wollte. Die Stimmung zwischen ihnen war ruhig. Es war alles gesagt. Beide wussten genau, was im anderen vorging. Trotzdem war ihr Umgang miteinander weiter von Liebe und Nähe geprägt. Tom schien sich mit Noras Wunsch, nach Hause zurückzukehren, abgefunden zu haben. Er hielt ihre Entscheidung nach wie vor nicht für richtig, hatte inzwischen aber eingesehen, dass er sie im Moment nicht davon abhalten konnte. Insgeheim
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