Noras großer Traum (German Edition)
glaubte in den vergangenen Monaten mehr geweint zu haben als in den letzten drei Jahren. Sie schluckte heftig, denn sie wusste, dass Tom irgendwo da unten dieses Flugzeug mit den Augen verfolgte, bis es als kaum sichtbarer Punkt mit dem Himmel verschmelzen würde.
Beinahe die Hälfte der unendlich langen Flugzeit meinte Nora dafür gebraucht zu haben, sich nach diesem Abschied zu beruhigen. Er war ihr so schwer gefallen wie nichts zuvor in ihrem Leben. Traurig dachte sie, dass die weite Entfernung, die bald zwischen ihnen liegen würde, wahrscheinlich zu ihrer beider Bestem wäre. Womöglich wäre sie sonst doch nicht von ihm losgekommen, und diese Tatsache erschreckte sie, denn nichts wollte sie weniger als ihrer Familie Schaden zuzufügen.
Die Umsteigezeiten in Singapur und viele Stunden später in Frankfurt verbrachte sie langsam auf dem Flughafen umherschlendernd oder einfach wartend in der Halle. Sie verspürte keine Lust mehr auf einen kurzen Ausflug. Ohne Toms Nähe oder Martins fröhliche Gesellschaft fühlte sie sich einsam. Sie versuchte sich schließlich damit abzulenken, dass sie fest an ihre Familie dachte. Es kam ihr unglaublich vor, dass durch ihren Unfall aus den geplanten vier Wochen in Australien mehr als drei Monate geworden waren. Sie sehnte sich danach, Niklas und Marie wieder in die Arme zu schließen. Obwohl Tom noch einen großen Teil ihres Herzens einnahm, freute sie sich auch auf Max, der genauso wie die Kinder untrennbar zu ihrem Leben gehörte. Sie hatte sich vor sechzehn Jahren für ihn entschieden und das noch nie bedauert, auch wenn der ersten stürmischen Liebe ruhigere, aber dennoch glückliche Jahre gefolgt waren. Genau darauf hoffte sie nun, in der ruhigen Geborgenheit bei Max und den Kindern ihr seelisches Gleichgewicht wiederfinden zu können. Nora lehnte den Kopf zurück und seufzte. Seit ein paar Stunden hatte sie Kopfschmerzen. Ein wenig beunruhigt dachte sie an ihren Schädelbruch und die damit verbundenen Komplikationen während eines so langen Flugs. Doch sie schob diese Gedanken rasch beiseite. Man hatte ihr die Reise ärztlicherseits schließlich gestattet, also war ihr Kopfdröhnen sicherlich auf ihr pausenloses Gegrübel zurückzuführen, das ihr auch kaum Schlaf ermöglicht hatte.
Nora sah auf, als eine der Flugbegleiterinnen langsam den Gang entlangging. Sie lächelte ihr zu und bat um ein Glas Orangensaft. Kurz darauf nahm sie zwei Tabletten ein und versuchte noch ein wenig zu schlafen. Die Wartezeit in Frankfurt vermochte sie nach mehr als zweiundzwanzig Stunden Reisedauer kaum noch zu ertragen. Müde, fröstelnd und schlecht gelaunt sah sie in die trübe Dunkelheit des spätherbstlichen Abends. Endlich konnte sie zum letzten Mal in der neuen Maschine Platz nehmen. Die nächste Landung würde sie in Hamburg erleben. Mit einem Magenkribbeln dachte sie an ihr Zuhause, sah ihre Familie vor sich und versuchte, sich mit geschlossenen Augen den Garten um diese Jahreszeit vorzustellen.
Der Klimawechsel ließ sie auf dem Hamburger Flughafen rasch nach ihrer naturfarbenen Parka greifen, bevor sie sich zum Gepäckband aufmachte und auf ihre Koffer wartete. Übermüdet und körperlich erschöpft wuchtete sie gerade ihre Reisetasche auf den Kofferwagen, als es hinter ihr an die durchsichtige Absperrung klopfte. Als sie sich umwandte, sah sie sie endlich. Winkend und lachend standen Max, Niklas und Marie da. Nora stiegen sofort wieder Tränen in die Augen. Während sie den Wagen durch die Tür bugsierte, liefen die Kinder ihr entgegen. Unwillkürlich ging sie in die Hocke und umfing jedes Kind mit einem Arm. Sie wollte die beiden nie wieder loslassen und atmete den typischen Kinderduft ein, der aus Kaugummi, Schokolade, Weichspüler aus sauberer Kleidung und ihrem Kindershampoo zu bestehen schien. Die beiden drückten sie ebenfalls so heftig, dass sie ins Straucheln geriet. Max war jetzt auch herangekommen.
»Nun lasst die Mama aber ganz. Ihr wisst doch, dass sie sehr krank war. Niklas, wenn du vorsichtig bist, kannst du den Kofferwagen schieben. Marie, du bekommst die Autoschlüssel. Pass aber gut darauf auf, sonst müssen wir hier bleiben.«
Lächelnd war Nora aufgestanden und wischte sich noch einmal über die Augen. Max legte beide Arme um sie und zog sie an sich.
»Ich bin so froh, dass du wieder bei uns bist. Du kannst dir nicht vorstellen, wie du mir gefehlt hast, Liebling.«
Sie erwiderte seinen Kuss und sah zu ihm auf.
»Ich habe euch auch vermisst, Max.«
Er
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