Noras großer Traum (German Edition)
getreten, der in Cameron Downs erreichbar gewesen war. Aber wenn sie es recht bedachte, war das fast jedem neuen Arzt aus der Stadt hier so ergangen. Die Menschen, die hier lebten, waren schon etwas Besonderes, und man musste sie einfach zu nehmen wissen. Vielleicht sollte man dafür hier geboren sein.
Ziemlich schnell waren sie und Bill einander näher gekommen; er teilte ihre Begeisterung für die Idee des Royal Flying Doctor Service. Über die rein körperliche Anziehungskraft hinaus, die schließlich die meisten jungen Paare erlebten, hatten sie gemeinsame Interessen und Ziele. Sie liebten nicht nur ihre Aufgabe hier, sondern auch das Land und die Leute. Es war, als wären sie füreinander bestimmt, und so hatten sie, schon um dem Klatsch in Cameron Downs einen Riegel vorzuschieben, bald geheiratet. Lisa seufzte, als sie an seine Eltern dachte. Ihre Schwiegereltern hatten es ihr nie leicht gemacht. Bills Vater hatte in Perth eine eigene kleine Privatklinik gehabt und bis zu seinem Ruhestand nie die Hoffnung aufgegeben, sein Sohn werde sein Lebenswerk eines Tages doch noch fortsetzen. Bill jedoch hatten andere Ziele gereizt – er wollte die Idee des Begründers des Royal Flying Doctor Service, John Flynn, weitertragen. Es gefiel ihm, wirklich gebraucht zu werden. Wenn er zu einem Notfall gerufen wurde und aus dem Flugzeug sprang, gab es häufig im Umkreis von hunderten von Kilometern keinen anderen Arzt. Er liebte das immer Neue an seinem Job, das Unvorhersehbare ebenso wie das Vorhersehbare einer Geburt in der Klinik zum Beispiel. Er hätte niemals in diesen Krankenhausmaschinerien glücklich werden können, in denen kaum einer den anderen kannte und wo Patienten Nummern waren oder »der Blinddarm von Zimmer 204« oder »die Galle von Zimmer 306«.
Liebevoll dachte Lisa über ihren Mann nach. Sie war stolz auf ihn und seinen geradlinigen Charakter. Sein Vater, Dr. Victor Jarrett, war davon überzeugt gewesen, dass die Tätigkeit seines Sohnes im Niemandsland nur vorübergehender Art sei, dass er schon noch zur Besinnung kommen würde, wenn er erst feststellte, was er in Perth alles aufgegeben hatte. Als dann aber Monat für Monat verging und Bill schließlich einen festen Vertrag beim hiesigen Ärztedienst unterschrieben hatte, war Dr. Victor Jarrett entsetzt gewesen. In seinen Augen wurde alles, wofür er gelebt und gearbeitet hatte, sein Lebenswerk, von seinem einzigen Sohn, für den er stets alles getan hatte, mit Füßen getreten. Einige Zeit darauf heirateten Lisa und Bill. Aus Enttäuschung über den beruflichen Weg ihres Sohnes waren Victor und Louise Jarrett nicht einmal zur Hochzeit gekommen. Nichts war einfacher gewesen, als ihrer Schwiegertochter die Schuld an dieser ganzen Entwicklung zu geben. Lisa seufzte. Der schlechte Beginn ihres Verhältnisses zu den Schwiegereltern hatte sich in all den vergangenen Jahren fortgesetzt. Bitter dachte sie an die spitzen Bemerkungen, die sie hatte ertragen müssen, als sich in den ersten Jahren ihrer Ehe nicht der erwünschte Nachwuchs einstellte. Sie erinnerte sich mit Schaudern an einen Besuch in Perth, als Bills Mutter beim gemeinsamen Abendessen zu ihrem Sohn sagte: »Bill, ihr seid doch nun schon recht lange verheiratet. Und sicher ist es schön, da draußen auch zusammenzuarbeiten, doch denkt ihr denn gar nicht an Kinder?« Bill hatte sie entgeistert angesehen, aber sie hatte noch vorwurfsvoll hinzugefügt: »Du weißt doch, wie sehr dein Vater und ich uns Enkelkinder wünschen, nicht?«
Dr. Victor Jarrett war unruhig auf seinem Stuhl hin und her gerutscht. Lisa hatte Mühe gehabt, den Bissen, den sie gerade im Mund hatte, hinunterzuwürgen. Nichts, absolut nichts hätte sie sich zu jener Zeit mehr gewünscht als ein Baby von Bill. Jedes Mal, wenn ihre Periode einsetzte, hatte sie das Gefühl, versagt zu haben, als Frau nichts wert zu sein. Als Krankenschwester wusste sie sehr wohl, dass ihre Empfindungen verkehrt waren, weil sie den psychischen Druck, unter den sie sich selbst setzte, nur noch weiter erhöhten, was wiederum die Aussicht auf eine Schwangerschaft verringerte. Aber ihre Sehnsucht nach einem gemeinsamen Kind mit ihrem Mann war offenbar stärker als die Vernunft. Umso mehr traf sie die taktlose Bemerkung ihrer Schwiegermutter, der sie augenscheinlich nie etwas recht machen konnte. Bill hatte peinlich berührt zu ihr herübergesehen und die Verzweiflung in ihren Augen wahrgenommen. Höflich hatte er sich mit der Serviette den Mund abgetupft,
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