Noras großer Traum (German Edition)
und sie fragte sich, ob sie sich diese Gefühle gestatten durfte. Schließlich war sie in Deutschland gebunden. Ein glückliches Paar mit zwei wunderbaren Kindern. Für nichts würde sie ihr Leben daheim gefährden. Sie schüttelte den Kopf und zog vor dem Spiegel eine Grimasse. Was war eigentlich los? Sie war schließlich beruflich in Australien, und Tom hatte sie nicht zu einem Liebeswochenende eingeladen.
Sie kam sich dumm vor, musste sich aber eingestehen, dass sie ihr Leben schon lange nicht mehr so aufregend und spannend gefunden hatte. Zum ersten Mal konnte sie so etwas wie ganz persönliche Freiheit genießen. Sie musste lächeln, als sie daran dachte, wie empört sie anfangs darüber gewesen war, dass Max sie vorgeschlagen hatte, ohne vorher mit ihr darüber zu reden. Sie hatte das Gefühl verabscheut, als sein »Schützling« geduldet und belächelt zu werden, hatte sich aber auch sagen müssen, dass sie nach all den Familienjahren auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr die besten Chancen hätte. Also beschloss sie, hier gute Arbeit zu leisten und es allen Zweiflern zu beweisen.
Auch Tom, der von den anderen noch auf ein Bier zum Bleiben überredet worden war, schien nachdenklicher als sonst. Er gestand sich ebenfalls ein, dass er sich auf die Fahrt mit Nora freute. Er, der selten spontan Gefühle zeigte, der privat kaum jemanden richtig an sich heranließ, fühlte sich sehr zu ihr hingezogen. Zum ersten Mal, seit er von seinem Einsatz des Ärztehilfsdienstes aus Äthiopien zurückgekehrt war und Sarah Cameron Downs verlassen hatte, hatte er wieder echtes Interesse an einer Frau. Noch nie seit damals hatte ihn jemand so durcheinander gebracht wie sie. Er gestand sich das äußerst ungern ein, denn er schätzte es inzwischen, gefühlsmäßig ungebunden zu sein. Doch ihm gefiel ihre interessierte, aber dennoch warmherzige Art, ihre Aufgeschlossenheit und ihr Mitgefühl anderen gegenüber. Er genoss die Gespräche mit ihr und fühlte sich wohl in ihrer Gesellschaft. Sie hätte die Frau sein können, auf die er gewartet hatte. Er sah sie vor sich. Schulterlanges glänzendes Haar, das weich ihr Gesicht umrahmte. Ihre ausdrucksvollen Augen hatten ihn sofort angezogen.
Tom fuhr sich durch sein dunkles Haar und schüttelte die Gedanken ab. Das war ja einfach albern, er war doch kein verliebter Schuljunge mehr. Sie hatte schließlich von ihren Kindern gesprochen, natürlich hatte sie auch den Mann dazu, und in einigen Tagen würde sie von hier verschwinden. Außerdem hatte er es bislang immer geschafft, sich keine tiefer gehenden Gefühle zu gestatten. Seit seiner Zeit als Arzt in Afrika war es ihm nicht mehr gelungen, so unbekümmert zu sein wie zuvor. Zu viel Leid und Tod hatte er mit ansehen müssen, ohne das Gefühl gehabt zu haben, eine wirkliche Hilfe zu sein. Wie hatte er viel später einmal seinen Freunden Bill und Lisa seine Rückkehr nach Australien begründet? »Der Tod wütete unter den Menschen, als ich kam, und er wütete noch genauso, als ich ging.« Er hatte es nicht mehr länger ertragen können und war deprimiert und desillusioniert zurückgekehrt. Vielleicht hätte er sich nach und nach seelisch erholt, aber dazu fehlte ihm auch der Halt einer festen Beziehung. Nach seiner Scheidung hatte er sein Vertrauen in die Liebe endgültig verloren. Die Erinnerung an die Fassungslosigkeit, die er damals in sich verspürt hatte, als er feststellen musste, dass seine Ehe am Ende war, die Hilflosigkeit, nichts mehr ändern zu können, ließ ihn fast wie damals erschaudern. Er nahm einen Schluck Bier und schreckte auf, als Bill eine Hand auf seinen Arm legte.
»Tom? Alles klar? Du bist so still heute Abend.«
»Nein, nein, Bill, es ist alles in Ordnung. Glaubst du, ihr kommt morgen ehrlich ohne mich aus?« Seine dunklen Augen blickten Bill fragend an.
»Aber sicher! Mach dir keine Sorgen! Hoffentlich hält sich das Wetter für deinen Ausflug.«
Als Tom am Freitag pünktlich um sechs Uhr vor dem Cameron Hotel den Wagen anhielt, kam Nora gerade heraus. Sie trug ein weiches naturfarbenes Sweatshirt, eine leichte hellbraune Daunenweste, helle Jeans und knöchelhohe hellbraune Lederstiefel. Über ihrer Schulter hing eine Reisetasche und in der Hand hielt sie einen kleinen Rucksack und die Kamera.
»Hallo, Tom. Sie sind ja so pünktlich, dass man die Uhr nach Ihnen stellen könnte!«, sagte sie strahlend.
»Danke, gleichfalls.« Er war aus dem Wagen gesprungen, um ihre Tasche hinten im Kofferraum zu
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