Noras großer Traum (German Edition)
und sein Blick war von seinem Vater zu seiner Mutter gewandert.
»Mutter, ich finde wirklich, das ist unsere Sache.« Er hatte sich zu einem schiefen Lächeln gezwungen. »Und wenn es so weit ist, wirst du es sofort erfahren.«
Allein bei der Erinnerung an diese Szene lief es Lisa kalt den Rücken hinunter. Um Verzeihung bittend hatte sein Blick auf ihr geruht, und ihr wollte es einfach nicht gelingen, den Bissen, auf dem sie nun schon so lange herumgekaut hatte, hinunterzuschlucken. Sorgsam darauf bedacht, niemanden anzusehen, hatte sie nach ihrem Wasserglas gegriffen. Louise Jarrett aber schien von alldem nichts zu bemerken. Unbeirrt sah sie ihren Sohn an und fuchtelte lebhaft mit dem Messer herum.
»Aber Bill, ich meine es doch nur gut. Bestimmt erinnerst du dich noch an Emily Fletcher, deine kleine Schulfreundin, nicht?« Sie machte eine Pause, in der es Bill nur mühsam gelang, ruhig zu bleiben, und Lisa geglaubt hatte, an ihrem Schluck Wasser ersticken zu müssen. »Also, vor drei Jahren hat sie Sam Edwards geheiratet, du weißt schon, den Sohn von Senator Edwards. Jedenfalls ist sie gerade zum dritten Mal guter Hoffnung. Sie haben ja bereits zwei so niedliche Kinder. Sams Mutter ist schon ganz aus dem Häuschen vor Freude.«
Lisa erinnerte sich noch genau daran, dass sie ihre Serviette sorgfältig zusammengefaltet und neben ihren Teller gelegt hatte, bevor sie sich, eine Entschuldigung murmelnd, ins Badezimmer zurückgezogen hatte, wo sie sich mühsam atmend gegen die Tür lehnte. Obwohl dieses Erlebnis nun schon so lange zurücklag, konnte sie sich an jede kleinste Einzelheit erinnern. Sie spürte erneut die Wut und Enttäuschung in sich aufsteigen, die sie damals empfunden hatte. In diesem Moment, das wusste sie, hätte sie ihrer Schwiegermutter sehr gerne eine Ohrfeige verpasst, und sei es nur mit ein paar entsprechenden Bemerkungen in verbaler Form. Aber natürlich hatte ihre gute Erziehung dafür gesorgt, dass sie sich – wie immer – höflich dieser Situation entzog und ihren Kummer niemandem zeigte. Als ihr das Geschirrklappern verriet, dass der Tisch abgedeckt wurde, hatte sie sich geräuschvoll die Hände gewaschen und langsam bis zehn zählend kaltes Wasser über die Pulsadern laufen lassen. Als wäre alles in bester Ordnung, war sie zum Dessert wieder an den Tisch zurückgekehrt und mehr als froh darüber gewesen, dass die Unterhaltung nun bei der Klinik ihres Schwiegervaters angelangt war – einem schier unerschöpflichen, jedoch eher unverfänglichen Thema.
Lisa fröstelte. Die Dämmerung hatte eingesetzt, und mit ihr wurde es kühl auf der Veranda. Müde stand sie auf und sah noch einen Moment in die Ferne. Bill hatte Nachtdienst, und so würde sie den heutigen Abend allein verbringen müssen. Langsam wandte sie sich um, um hineinzugehen.
11
A m nächsten Tag kam Tom Nora in der Klinik entgegen.
»Hallo, Nora, wie schön, dass ich Sie treffe. Wenn es in Ihre Terminplanung passt, werden wir in zwei Tagen in der Künstlerwerkstatt erwartet.« Gespannt sah er von Nora zu Martin, der ein wenig zusammenzuckte.
»O Nora, übermorgen wollte Jason mir mit seiner Cessna das Outback von oben zeigen. Für mich die Gelegenheit, selbst Luftaufnahmen zu machen.«
Er hob fragend die Augenbrauen.
Nach kurzem Überlegen sagte Nora bestimmt: »Weißt du, Martin, diese Fotochancen darfst du dir auf keinen Fall entgehen lassen. Ich werde eben allein mit Tom fahren und die kleine Kamera mitnehmen, mit der komme ich hervorragend zurecht. Einverstanden?«
Als Martin zustimmend nickte, erklärte Tom ihr, dass sie zwei Tage unterwegs seien und eine Übernachtung auf einer großen Farm im Outback vor sich hätten.
»Die Harpers sind sehr gastfreundlich und freuen sich immer über Besuch, ganz besonders auf so seltenen aus Übersee.«
»Ich kann es auch kaum erwarten. Also, Freitag. Wann holen Sie mich ab?« Er freute sich über ihre Begeisterung.
»Hoffentlich bekommt Ihre Vorfreude jetzt keinen Dämpfer. Wir sollten nicht später als sechs Uhr morgens starten.« Er sah sie fragend an, doch sie strahlte.
»Ich werde da sein, Tom. Sechs Uhr vor dem Hotel.«
In ihrem Zimmer war sie aufgewühlt und durcheinander. Sie freute sich unbändig auf den Ausflug mit Tom, den sie sowohl menschlich als auch als Arzt in den vergangenen Tagen gleichermaßen schätzen gelernt hatte. Er gefiel ihr aber auch als Mann. Und diese Tatsache verunsicherte sie. Seit langer Zeit hatte sie sich nicht mehr so lebendig gefühlt,
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