Noras großer Traum (German Edition)
spürte, dass Nora sich zurückgezogen hatte und nicht mehr so auf ihn zuging wie früher. Aber er dachte nicht daran, aufzugeben, denn er wollte sie nicht verlieren. Gerade hatte er die Füße von sich gestreckt und den Kopf zurückgelehnt, als sein Telefon klingelte. Er fuhr zusammen, denn das schnarrende Geräusch in dem ansonsten stillen Zimmer kam ihm unnatürlich laut vor. Als er sich meldete, erkannte er die Stimme seiner Sekretärin.
»Es tut mir Leid, Sie so spät noch zu stören, Herr Bergmann, aber ich glaube, es ist wirklich wichtig.«
»Schon gut, Anja, machen Sie sich keine Gedanken. Ich war sowieso noch auf.« Er wartete gespannt, doch sie fragte nun: »Geht es Ihrer Frau schon besser?«
»Ja, danke. Es wird langsam, obwohl ich mir zu Anfang nicht hätte vorstellen können, dass es so lange dauert.«
Er seufzte kurz, denn es hatte ihn in den vergangenen Wochen einiges an Kraft gekostet, vor Nora so ruhig und gelassen zu bleiben, obwohl der Verlag in Hamburg ihm unter den Nägeln brannte und er sich Sorgen machte, dass seine Abteilung ins Hintertreffen geraten könnte.
»Was gibt’s denn, Anja?«
»Nun, ich weiß gar nicht recht, wie ich anfangen soll. Wir arbeiten schon so lange zusammen, dass ich mich einfach verpflichtet fühle, es Ihnen zu sagen, denn, noch können Sie selbst aktiv werden ...«
»Anja, sagen Sie’s einfach, okay?«
»Ja, gut. Also, ich war gestern Mittag mit meiner Freundin essen. Sie wissen schon, Susanne Berger, Vorstandssekretariat von Herrn Kröger. Sie hat mir – natürlich vertraulich – erzählt, dass sich Herr Marquardt im Moment beim Vorstand unentbehrlich macht. Sie können sich sicher vorstellen, wie ich das meine. Er nutzt Ihre Abwesenheit aus, um sich selbst für die Nachfolge von Herrn Fuchs ins Spiel zu bringen.« Sie zögerte kurz. »Er hat sich sogar schon offiziell beworben. Mir ist natürlich klar, dass Sie augenblicklich andere Sorgen haben, Herr Bergmann, doch ich wollte trotzdem, dass Sie wissen, was hier gerade läuft. Sollten Sie es irgendwie einrichten können, nach Hamburg zu kommen, natürlich nur, wenn es Ihrer Frau besser geht, wäre das für Ihre Situation sicherlich gut.«
Max rieb sich die Stirn und sah dann aus dem Fenster.
»Danke für Ihren Anruf, Anja. Ich weiß Ihre Sorge zu schätzen.« Er machte eine kleine Pause, als müsste er noch nachdenken.
»Ich will sehen, was ich tun kann. Ich melde mich morgen wieder bei Ihnen, okay? Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Enttäuscht warf er das Telefon aufs Bett und ließ sich wieder in den Sessel fallen. Während er innerlich langsam wütend wurde, wanderte sein Blick durch das Zimmer, ohne jedoch irgendetwas wahrzunehmen. Müde rieb er sich die Augen. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Immer – er dachte kurz nach – wirklich immer war er für diesen Scheißverlag da gewesen. Im Zweifel hatte stets seine Familie zurückstehen müssen. Praktisch nie war er zu Hause gewesen, wenn die Kinder abends zu Bett gingen. Oft war es so spät im Büro geworden, dass er selbst Nora übers Telefon gute Nacht gesagt hatte. Kein Urlaubstag war vergangen, ohne dass er nicht vom Verlag angerufen worden war. Und nun? Einmal, ein einziges Mal waren ihm persönliche Verpflichtungen wichtiger, und schon wurde an seinem Stuhl gesägt. Wenn er menschlich nicht so enttäuscht gewesen wäre, hätte er vielleicht sogar darüber lachen können. So aber stand er auf und ging zwischen Fenster und Tür hin und her. Es war spät geworden, aber er hätte jetzt keinen Schlaf gefunden. Nach einer Weile blieb er am Fenster stehen und betrachtete Sydneys Lichter unter sich. Nein! Die ganzen Jahre, in denen er sich für diese Firma aufgerieben und eingesetzt hatte und in denen Nora und die Kinder hatten zurückstehen müssen, sollten nicht einfach umsonst gewesen sein. Er würde diesem Weichei das Feld nicht kampflos überlassen. Max überlegte. Drei Wochen hatte Nora in Cameron Downs gelegen, und knapp vier Wochen war sie jetzt schon wieder in Sydney. Es müsste doch langsam möglich sein, dass sie nach Hause konnte. Der Hauptgrund, der gegen den langen Heimflug sprach, war sicher der Schädelbruch. Wie lange würde das wohl noch dauern? Max nahm sich vor, gleich morgen mit dem Arzt zu sprechen. In Gedanken versunken begann er schließlich, sich auszuziehen, um im Bad zu duschen.
Am nächsten Morgen suchte er sofort ihren Arzt auf, um mit ihm die Situation zu besprechen. Wie er jedoch befürchtet hatte, eröffnete dieser
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