Noras großer Traum (German Edition)
Verpflichtungen den Vorrang zu geben, die richtige war. Als seine Maschine den australischen Boden verließ, griff er seufzend nach einer Zeitung. Nun hatte es auch keinen Sinn mehr, weiter über richtig oder falsch nachzugrübeln.
Als Nora abends in ihrem Bett lag und in den dunkler werdenden Himmel sah, kämpfte sie gegen die aufkommende Angst vor den nächsten Wochen an. Sie fühlte sich längst nicht so sicher, wie sie Max hatte glauben machen wollen. Die Aussicht, nun Tage und Nächte allein in diesem fremden großen Krankenhaus zu bleiben, ohne jemanden, der ihr nahe stand und sie ablenkte, erschreckte sie. Außerdem war sie noch nie zuvor so verunsichert gewesen wie jetzt. Alle Ruhe und Sicherheit waren in den letzten Wochen aus ihrem Leben verschwunden. Gerade als sie den Gedanken an Tom beiseite gedrängt und sich für Max und ihre Familie entschieden hatte, musste sie hier plötzlich wieder allein herumliegen und wehrlos ihren Gedanken ausgeliefert sein. Sie biss sich auf die Unterlippe. Nein, sie wollte einfach nicht mehr darüber nachdenken müssen. Sie liebte Max, Niklas und Marie. Entschlossen wischte sie sich mit dem Handrücken eine Träne weg, während sie versuchte, die Sehnsucht nach Tom zu verdrängen.
20
B ill untersuchte vorsichtig die schweren Brandverletzungen des etwa fünfundvierzigjährigen Mannes, der gerade eingeliefert worden war. Es hatte auf einem Feld bei Erdgasbohrungen eine Explosion gegeben. Auf Grund der starken Schmerzmittel war der Verletzte nicht bei Bewusstsein. Lisa kam eilig durch die Tür. Angespannt beobachtete sie ihren Mann mit dem Patienten und ging ihm wortlos zur Hand. Nach einer Weile schaute sie ihn fragend an.
»Was meinst du, Bill? Können wir ihn hier behalten?«
Bill schüttelte den Kopf. »Nein, die Verbrennungen sind zu schwer. Ray sollte schnell nach Sydney geflogen werden. Die sind für solche speziellen Fälle einfach besser ausgerüstet als wir.«
»Nun, seine Familie wird sich nicht gerade freuen, dass er fort muss. Aber wenn es besser für ihn ist ...« Sie blickte plötzlich ihren Mann an. »Bill, lass Tom mitfliegen.«
Er sah missbilligend auf. »Lisa, was soll das? Du willst schon wieder Schicksal spielen. Lass ihn endlich in Ruhe. Sie ist schließlich mit ihrem Mann dort. Und wenn ich mich recht erinnere, beabsichtigt sie auch, mit ihrem Mann zurückzufliegen.« Er hatte sich die Handschuhe ausgezogen und sie in einen Abfallbehälter geworfen. Sie war ihm gefolgt und hielt ihn am Arm fest.
»Ich glaube aber, Tom ist vor dem Abschied weggelaufen, als er zum Angeln fuhr. Das war eine Flucht, und ich bin mir sicher, er hat es bedauert. Jetzt wird er sich immer Gedanken machen, ob es nicht besser gewesen wäre, Nora noch einmal zu sehen.«
Bill schüttelte den Kopf. »Entschuldige, Lisa, aber ich glaube, du spinnst. Ich habe dir schon mal gesagt, wir sollten uns nicht einmischen, und dabei bleibe ich.«
Lisa hielt ihn noch immer fest. »Bitte, Bill. Wenn du ihn für den Flug einteilst, hat er wenigstens die Möglichkeit, sich zu überlegen, ob er sie noch einmal sehen will. Wenn er nicht möchte, braucht er es nicht, denn die Klinik ist schließlich groß genug.«
Bill seufzte und kratzte sich nachdenklich am Ohr. Schließlich konnte er ein Lächeln nicht unterdrücken, als er die gespannte Erwartung im Gesicht seiner Frau bemerkte.
»Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich dir einfach nicht gewachsen bin.«
»Glaub mir, ich habe Recht. Es ist besser für Tom«, erwiderte sie lachend.
In der Dienstbesprechung am nächsten Morgen zog Tom die Stirn kraus, als er von Bill hörte, er solle Ray Morgan auf dem Flug nach Sydney betreuen. Unruhig rollte er einen Kugelschreiber zwischen den Fingern hin und her.
»Wieso denn ich, Bill? Er ist dein Patient.«
Bill blickte überrascht auf.
»Warum fragst du? Gibt es Probleme? Oder warum willst du den Flug nicht übernehmen?«
Tom sah ihn einen Moment an, bevor er langsam den Kopf schüttelte. »Schon gut.«
Bill blätterte wieder in seinen Unterlagen.
»Ich habe nachher noch einen Gesprächstermin mit dem Wirtschaftsprüfer, und Jason ist für den Nachtdienst eingeteilt.«
Nachdem Tom sich auf dem Transport zum Flugplatz und in der Maschine um Ray Morgans Verletzungen gekümmert hatte, vergewisserte er sich nochmals, dass sein Patient nicht unter Schmerzen litt. Die Medikamente sorgten dafür, dass er betäubt schlief. Tom seufzte, Brandwunden dieses Ausmaßes hatte er bisher selten behandeln
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