Norddeutschland, Morddeutschland - 3 Krimis von der Küste (German Edition)
Unschuldige im Knast sitzen, nur weil niemand daran interessiert ist, Geld dafür auszugeben, die wahren Hintergründe eines Verbrechens aufzuklären.“
„Aber der Normalfall ist das ja nun wohl nicht …“
„Das kommt öfter vor, als Sie glauben, Herr Schmitz!“
„So?“
„Meistens beginnt es mit einer falschen Grundannahme und schwups ist man in einer Sackgasse gelandet. Alle Ermittlungen zielen nur noch in eine Richtung, und eigentlich offensichtliche Spuren und Hinweise werden nicht beachtet, weil sie nicht in das vorgefasste Bild passen!“
„Sie haben aber nicht gerade großes Vertrauen in unser Rechtssystem, Herr Benecke!“, stellte George verwundert fest.
„Gerechtigkeit gibt es nicht“, sagte Benecke voller Überzeugung. „Jedenfalls dann nicht, wenn man kein Geld für Anwälte und Gutachter hat …“
Benecke sah aus dem Seitenfenster, während George den Wagen über die holprige Pflasterstraße des kleinen Ortes Vilmnitz lenkte. Sie kamen an dem unter hohen Bäumen stehenden Ensemble von Kirche, Pfarrhaus und Friedhof vorbei, wobei der Reporter seinen Begleiter darauf hinwies, dass dies die Begräbniskirche der Fürstenfamilie von Putbus war und man die Sarkophage durch ein rückliegendes Fenster besichtigen konnte.
Als sie den Hafen von Lauterbach erreichten, legte gerade ein Fahrgastschiff an, das Touristen für eine Boddenkreuzfahrt und eine Rundfahrt um die naturbelassene Insel Vilm genutzt hatten. Aus dem ehemaligen Fischerdorf und einstigen Badeort für Putbus hatte sich ein eigenständiger Ferienort mit rentablem Yacht- und Segelhafen entwickelt. Schifffahrt prägte das Schicksal jeder Insel – und das war auf Rügen nicht anders gewesen. Seit die germanischen Rugier während der Völkerwanderung Rügen verlassen und kaum mehr als den Inselnamen hinterlassen hatten, errichteten hier die slawischen Ranen ihr Inselreich, das von Seefahrt, Handel und Piraterie geprägt war. Ähnlich wie bei den Wikingern waren dabei die Grenzen fließend gewesen und böse Zungen behaupteten, dass diese Grenzen bis heute nicht sauber zu ziehen seien. Mit dem Schwert waren die Ranen dann christianisiert und die Insel von Siedlern aus Norddeutschland besiedelt worden. Sprache und Kultur der Ranen gerieten in Vergessenheit, so wie wahrscheinlich zuvor schon der zurückbleibende Teil der Rugier von den Ranen assimiliert worden war.
Benecke hatte sich zum ersten Mal genauer mit der wechselvollen Geschichte der Insel beschäftigt, als es seinerzeit um die Todesursachenbestimmung bei den aufgefundenen Schädeln ging, allerdings war er weit davon entfernt, sich als einen Experten auf diesem Gebiet zu betrachten, wie man es gewiss von manchem lokalen Inselpatrioten sagen konnte.
Denn gleichgültig wie wechselvoll die Herrschaft über die Insel auch immer gewesen sein mochte, ob nun der dänische König, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, Schweden, Preußen oder die DDR die Oberhoheit über diesen küstenreichen, arg zerfransten Landflecken in der Ostsee gerade innehatte, so lag es wohl in der Natur einer Insel, dass sich die Einwohner stets etwas sehr Eigenes bewahrten.
Noch einmal sah sich Benecke die Aufnahme des Käfers, den er im Halsstumpf des Toten gefunden hatte, auf seiner Digitalkamera an.
„Was denken Sie?“, fragte George, der Benecke aus den Augenwinkeln beobachtete, nachdem dieser eine Weile nichts gesagt und scheinbar nur vor sich hingegrübelt hatte.
„Also, ausschließen kann man, dass der Käfer auf natürlichem Weg an den Ort kam, an dem ich ihn gefunden habe“, meinte Benecke.
„Weil er aus Australien stammt?“
„Richtig.“
„Dann ist der Mörder ein Australien-Fan.“
„Zumindest könnte er eine wie auch immer geartete Beziehung zu Australien haben. Oder er ist einfach nur ein Käfersammler oder hat eine Käfersammlung geerbt, von der er aus irgendeinem Grund ein seltenes Exemplar auf ungewöhnliche Weise loswerden wollte …“ Benecke schüttelte den Kopf. „Mein Gehirn käst, das macht mich ganz jeck, aber die Tatsache, dass dieser Käfer da nicht hingehörte, wo ich ihn gefunden habe, bringt uns noch nicht wirklich weiter.“
„Aber vielleicht bringt es uns einen Hinweis auf den Tatort“, schlug George vor. „Ich meine, es scheint ja sehr nahezuliegen, dass die Leiche an einem anderen Ort zu Tode kam.“
„Allerdings!“, bestätigte Benecke.
„Und vielleicht ist dort der Käfer in den Halsstumpf gelangt“, spann George den Faden
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