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Norden ist, wo oben ist

Norden ist, wo oben ist

Titel: Norden ist, wo oben ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Bertram
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zusammenrollt. Das weiß ich, weil ich Erichs Augen folge. Das Seltsame ist: Auf der Matte sind wirklich Hundehaare, obwohl es Tito gar nicht gibt.
    Mel und ich setzen uns an einen Tisch und sehen zu, wie Erich mit dem Fischeimer zu einem Waschbecken geht. Die Hütte besteht nur aus einem einzigen Raum. In einer Ecke steht ein Bett, auf dem ein Fell als Decke liegt. Sonst gibt es noch einen Kamin, den Tisch, an dem wir sitzen, drei alte Stühle, die Spüle, einen Kohlenherd und einen Schrank, der mit einem Vorhängeschloss gesichert ist. Es ist alles ziemlich unaufgeräumt: Klamotten liegen auf dem Boden verstreut und auf der Tischplatte kann man mühelos Erichs Speiseplan der letzten Woche rekonstruieren. Er scheint eine Vorliebe für Fisch zu haben. Überall glitzern Schuppen in der Sonne, die durch ein dreckiges Fenster hereinscheint.
    „Wie heißt denn das Örtchen, in dem eure Eltern auf euch warten?“, fragt Erich und schnappt sich ein Messer. Mit einem Schleifstahl beginnt er, die Klinge zu schärfen.
    „Das ist ganz in der Nähe“, antwortet Mel ausweichend. „Verfahren können wir uns nicht. Wir brauchen nur dem Kanal zu folgen.“
    „Täuscht euch da mal nicht. Die Kanäle und Flüsschen hier sind das reinste Labyrinth. Da sind schon ganz andere verloren gegangen.“ Erich hat das Messer zur Seite gelegt und sich einen Knüppel geschnappt.
    „Wir haben GPS !“, rufe ich etwas zu laut. „Unsere Eltern, also der Polizist und die Oberstaatsanwältin, wissen immer genau, wo wir sind.“
    „So ein Pech, dass ihr in dieser Gegend keinen Empfang habt. Das ist ein ganz elendes Funkloch hier“, antwortet Erich und schnappt sich einen der Fische aus dem Eimer. Ein Schlag mit dem Knüppel und der Fisch hat es hinter sich.
    Im Gegensatz zu uns.
    „Keine Sorge, wir waren bei den Pfadfindern. Wir verfahren uns schon nicht“, erklärt Mel.
    „Genau, bei den Pfadfindern, und im Fechtclub sind wir auch“, ergänze ich, um Erich etwas einzuschüchtern, obwohl ich mein Florett gar nicht dabeihabe und im Gegensatz zu Mel völlig unbewaffnet bin.
    „Da bin ich ja beruhigt“, erwidert Erich und lächelt.
    Lächelnd erledigt er auch Fisch Nummer zwei und drei.
    „Ich mach schnell die Hechte fertig, dann essen wir zusammen und danach bringe ich euch zurück zu eurem Schiff, damit ihr weiterkönnt und sich eure Eltern keine Sorgen machen“, erklärt Erich, ohne uns anzusehen.
    Ich glaube ihm kein Wort. Während er spricht, hat er mit einer geübten Handbewegung dem ersten Fisch den Bauch aufgeschlitzt. Sein Mittel-und sein Zeigefinger gleiten in den leblosen Körper und rupfen die blutigen Innereien heraus. Darm, Herz, Magen und so weiter klatschen in die Spüle. Dann ist auch schon der nächste Fisch fällig.
    Mir wird schlecht. Noch schlechter als in dem Sturm. So schlecht wie noch nie in meinem Leben.
    „Ich muss dringend aufs Klo!“, rufe ich und springe schnell auf, ehe es zu spät ist.
    „Das ist hinter dem Schuppen. Nimm Tito mit! Der passt auf dich auf“, ruft Erich mir nach, aber da bin ich längst vor der Tür.
    Ich renne um die Hütte auf den Schuppen zu. Dahinter ist ein stinkendes Loch im Boden, über dem mindestens eine Million Fliegen kreisen. Um das Loch herum hat Erich drei Bretter zusammengenagelt, die den Benutzer von hinten und von den Seiten vor neugierigen Blicken schützen sollen. Nach vorne ist das Klo offen und das ist gut so. Ich hätte es sowieso nicht mehr geschafft, eine Tür aufzumachen.
    Weil ich seit gestern nicht viel gegessen habe, muss ich nur ganz wenig würgen. Kurz darauf ist es schon vorbei und mir geht es viel besser.
    Erichs Plumpsklo ist kein besonders angenehmer Ort, aber ich habe auch keine Lust, beim Fischeschlachten zuzusehen. Also schaue ich mich ein bisschen hier draußen um. Der Schuppen ist zwar verschlossen, doch es gibt breite Ritzen zwischen den Brettern, durch die man bequem hineinsehen kann. Es dauert ein wenig, bis meine Augen etwas in der Dunkelheit erkennen. Direkt hinter der Tür parkt ein altes Moped neben einem angerosteten Ölfass. An den Wänden hängen Fangeisen und Fallen für die Tiere, deren Felle auf dem Gestell vor der Hütte hängen. In der Mitte des Raumes steht ein Käfig. Auf dem Boden sind eingetrocknete rote Flecken, die verdächtig nach Blut aussehen. Der Käfig ist riesig und ich frage mich, für welche Art von Tier der wohl gedacht ist. Für einen Fuchs wäre er zu groß, für ein Wildschwein wiederum zu klein. Ich überlege noch

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