Norden ist, wo oben ist
reden, es ist ja nicht ihr Geld.
„Dann sind wir jetzt pleite!“, erwidere ich.
„Unsinn, wir haben noch fünfzig Euro! Und jetzt nichts wie weg hier!“
Ich stehe am Ufer und reiche Mel den Eimer mit dem Diesel. Sie ist mit der Fischtüte schon an Bord geklettert und lehnt sich weit über die Reling, um den Henkel greifen zu können.
Der Eimer ist schwer. Trotzdem scheint Mel das Gewicht nicht viel auszumachen. Sie hievt ihn an Bord, ohne einen Tropfen zu verschütten. Klar, sie hat den blöden Eimer ja auch nicht quer durch den halben Wald schleppen müssen. Mel stellt den Eimer auf dem Deck ab und schaut überrascht zu, wie ich versuche, ebenfalls an Bord zu klettern.
„Was soll das werden, Elvis?“
„Ich fliege zum Mond, was glaubst du denn? Wonach sieht das wohl aus?!“
„Das sieht aus, als wenn du an Bord klettern wolltest. Aber das geht nicht.“
„Und warum nicht, bitte schön?“
„Weil du erst das Boot zurück ins Wasser schieben musst.“
„Und wieso ausgerechnet ich? Warum nicht du?“
„Weil du da unten bist und ich hier oben“, sagt Mel, als ob das eine Erklärung wäre. Sie macht keinerlei Anstalten, zu mir herunterzukommen, um mir zu helfen. „Ich kann leider nicht. Erstens könnte ich wieder einen Anfall kriegen, wenn ich mich zu sehr anstrenge, und zweitens muss jemand oben bleiben, sonst treibt uns das Schiff weg, wenn es wieder im Wasser schwimmt“, fährt sie fort, als könnte sie Gedanken lesen. Dabei funkeln mich ihre beiden Augen frech an. Eigentlich sind es vier Augen, weil gerade ein Sonnenstrahl auf die schwarzen Glasaugen trifft, die der verrückte Alte dem toten Fuchs verpasst hat. Ich würde Mel gerne zurufen, dass sie ziemlich lächerlich aussieht mit ihrem Fuchskragen um den Hals. Lasse es aber sein, weil ich mit meiner Fechtjacke mit Sicherheit auch nicht viel besser rüberkomme.
Mit aller Kraft stemme ich mich gegen den Bug des Bootes. Und tatsächlich: Das Schiff bewegt sich. Erst nur ganz wenig, dann immer schneller. Dass es so leicht geht, liegt an dem matschigen Boden am Ufer. Der schmoddrige Untergrund wirkt wie Schmierseife.
Auch auf meine Füße.
Als der Schiffsrumpf mit Schwung ins Wasser gleitet, rutsche ich aus und lande bäuchlings im Morast. Er riecht nach verfaulter Erde und es dauert eine Weile, bis ich wieder auf den Füßen stehe. Auf meiner daunenweißen Fechtjacke sieht der braungrüne Matsch besonders gut aus. Ich versuche, den Dreck abzuwischen, aber das macht alles nur noch schlimmer. Ich sehe aus wie ein Fechter im Tarnanzug.
Mel lacht und reicht mir die Hand, damit ich leichter an Bord komme. Um ihre Hand greifen zu können, muss ich knietief ins Wasser waten. Ich hoffe nur, dass der Hai nicht gerade hier unterwegs ist. Andererseits wäre es auch egal. Jetzt, wo wir so gut wie kein Geld mehr haben, hat er bestimmt das Interesse an mir verloren. So eine Art von Hai ist das nämlich.
Mel zieht mich mit einem kräftigen Ruck an Bord, so wie vorhin den Sprit-Eimer. Der steht immer noch an Deck herum, weil Mel den Tank nicht gefunden hat. Ich habe auch keine Ahnung, wo er sein könnte. Immer, wenn ich früher mit dem Boot über den See gefahren bin, war es randvoll aufgetankt. Ich weiß nicht, wer sich sonst darum kümmert. Ich jedenfalls nicht.
Unsere Suche nach dem Tankdeckel dauert eine halbe Ewigkeit. Als wir ihn endlich gefunden haben, sind die gebratenen Fische aus der Tüte so kalt wie ein Schollenfilet aus der Tiefkühltruhe.
Sie schmecken trotzdem gut. Obwohl ich Fisch sonst nicht besonders mag. Mel hat auf dem Deck eine Art Picknick vorbereitet mit einer Decke und zwei Tellern. Es wird sogar richtig gemütlich, weil die Sonne scheint und uns wärmt. Dabei trocknet der Matsch auf meiner Jacke und ich kann ihn abknibbeln wie Schorf auf dem Knie ein paar Tage, nachdem man sich auf die Nase gelegt hat.
Erst als wir auch die letzte Gräte abgenagt haben, steht Mel auf und geht zum Steuerrad.
„Dann wollen wir mal“, sagt sie und lässt den Motor an.
Ich wusste nicht, dass sie das kann. Aber den Rasenmäher hat sie auch anbekommen. Ich lasse sie machen, weil ich schrecklich müde bin. Soll sie ruhig den Kahn weiter auf Kurs halten. Auf dem Kanal kann nicht viel passieren, mit gefährlichen Korallenriffen oder Eisbergen ist in dieser Gegend jedenfalls nicht zu rechnen.
Mel steht am Steuer und ich mache es mir auf dem Deck bequem. Ich liege auf dem warmen Holz und genieße die Sonnenstrahlen.
Das ist ein guter Moment,
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