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Nordermoor

Nordermoor

Titel: Nordermoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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Aber das ist noch nicht alles. Er besitzt eine Schrotflinte, und unter seinem Bett haben wir den abgesägten Lauf gefunden.«
    »Lauf?«
    »Er hat den Lauf abgesägt.«
    »Du meinst …«
    »Das machen die manchmal. Macht es einfacher, sich zu erschießen.«
    »Glaubst du, dass andere in Gefahr sind?«
    »Wenn wir ihn finden«, sagte Sigurður Óli, »müssen wir äußerst vorsichtig sein. Man kann nie wissen, was er mit dem Gewehr vorhat.«
    »Er wird wohl kaum jemand damit umbringen wollen«, sagte Erlendur, der aufgestanden war und Karítas den Rücken zugewendet hatte, um etwas für sich zu sein.
    »Warum nicht?«
    »Dann hätte er es schon längst benutzt«, sagte Erlendur leise. »Für Holberg. Glaubst du nicht?«
    »Ich glaube gar nichts.«
    »Bis später«, sagte Erlendur, stellte das Handy ab und entschuldigte sich noch einmal, bevor er sich wieder hinsetzte.
    »Das Verfahren ist bislang so gewesen«, sagte Karí tas, als ob nichts vorgefallen sei. »Wir beantragen bei diesen Kommissionen die Erlaubnis für wissenschaftliche Forschungsprojekte, wie im Falle Einars, zur Untersuchung einer erblich bedingten Krankheit. Wir bekommen eine codierte Namensliste derjenigen, die diese Krankheit haben oder mögliche Erbträger sind, und vergleichen das mit der verschlüsselten genealogischen Datenbank. Und daraus wird dann ein verschlüsselter Stammbaum.«
    »Wie der Message-Tree«, sagte Erlendur.
    »Wie bitte?«
    »Ach nichts, mach nur weiter.«
    »Die Datenschutzkommission entschlüsselt die Liste mit den Namen derjenigen, die wir untersuchen wollen, die so genannte Auswahlgruppe, sowohl die Kranken als auch die Anverwandten, und fertigt eine Teilnehmerliste mit Identifikationsnummern an. Verstehst du?«
    »Und damit hatte Einar Namen und Identifikationsnummern sämtlicher Personen in Händen, die diese Krankheit haben, und das über Generationen zurück.«
    Sie nickte.
    »Und das läuft alles über die Datenschutzkommission?«
    »Ich weiß nicht, wie tief du schürfen willst. Wir arbeiten mit Ärzten an verschiedenen Institutionen zusammen. Sie leiten die Namen der Patienten an die Datenschutzkommission weiter, sie codiert Namen und Kennziffern und leitet sie an das Genforschungszentrum weiter. Wir haben ein spezielles Programm entwickelt, das die Kranken nach Stammbäumen und Verwandtschaft bündelt. Mit diesem Computerprogramm können wir die Patienten auswählen, die die meisten rechnerischen Informationen für die Suche nach genetischen Schwächen hergeben. Individuen aus dieser Gruppe werden dann gebeten, an dem Forschungsprojekt teilzunehmen. Der Wert von Genealogien liegt darin, dass wir erkennen können, ob die Krankheit erblich bedingt ist, und dass wir eine gute Gruppe auswählen können. Stammbaumforschung ist ein unschätzbares Hilfsmittel auf der Suche nach schadhaften Genen.«
    »Einar brauchte also einzig und allein vorgeben, eine Projektgruppe zur Untersuchung zusammenzustellen, um die Geheimhaltung der Namen außer Kraft zu setzen, und das alles mit Unterstützung der Datenschutzkommission.«
    »Er hat gelogen, betrogen und getäuscht, und deswegen ist es auch herausgekommen.«
    »Ich verstehe, dass das problematisch für euch werden kann.«
    »Einar ist einer unser leitenden Angestellten, und er gehört zu unseren führenden Wissenschaftlern auf diesem Gebiet. Ein hervorragender Mann. Warum hat er das getan?«, fragte die Direktorin.
    »Er hat seine Tochter verloren«, sagte Erlendur. »Hast du das nicht gewusst?«
    »Nein«, sagte sie und starrte Erlendur an.
    »Wie lange arbeitet er schon hier?«
    »Seit zwei Jahren.«
    »Das passierte schon etwas früher.«
    »Und wie hat er seine Tochter verloren?«
    »Sie starb an einer erblichen Nervenkrankheit. Er war der Erbträger, obwohl mütterlicherseits und väterlicherseits die Krankheit nirgendwo in der Familie war.«
    »Falsche Vaterschaftsangabe?«, fragte sie.
    Erlendur antwortete ihr nicht. Er fand, dass er genug gesagt hatte.
    »Das ist natürlich eins der Probleme, wenn wir eine genealogische Datenbank dieser Art zusammenstellen«, sagte sie. »Die Krankheiten verschwinden auf einmal wie zufällig aus einem Stammbaum und erscheinen plötzlich da, wo man sie am wenigsten erwartet.«
    Erlendur stand auf.
    »Und ihr bewahrt alle diese Geheimnisse auf«, sagte er.
    »Alte Familiengeheimnisse. Tragik, Trauer und Tod, alles ordentlich registriert in den Computern. Familiengeschichten und Geschichten von Individuen. Geschichten von dir und mir.

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