Nordermoor
klein. Ein Wohnzimmer und ein weiterer Raum, eine Küche und ein kleines Badezimmer. Teppichboden in beiden Zimmern und Linoleum in der Küche. Ein Fernseher im Wohnzimmer und davor ein Sofa. Statt die Vorhänge aufzuziehen, machte Erlendur Licht, damit sie besser sehen konnten.
Sie starrten auf die Wände in der Wohnung, die mit denselben Worten voll gekritzelt waren, die sie so gut aus Holbergs Wohnung kannten, mit Filzstiften und Farbspray. Drei Worte, die Erlendur unverständlich gefunden hatte, aber das waren sie jetzt nicht mehr. Ich bin ER. Sie machten einen Rundgang durch die Wohnung. Zeitungen und Zeitschriften lagen überall verstreut, isländische und ausländische, Bücher mit wissenschaftlichen Themen, wie Erlendur schien, lagen allenthalben stapelweise im Wohnzimmer und im Schlafzimmer auf dem Fußboden, große Fotoalben waren auch darunter. In der Küche lag die Verpackung von irgendwelchem Essen aus einem Imbiss.
»Die Vaterschaftsangaben bei Isländern«, sagte Sigurður Óli und zog Gummihandschuhe an, »liegt da nicht einiges im Argen?«
Erlendur dachte an die Genforschungen. Das Isländische Genforschungszentrum hatte vor kurzem damit angefangen, die Krankenberichte aller lebenden und verstorbenen Isländer zu sammeln, um daraus eine medizinische Datenbank mit allen verbreiteten Krankheiten aufzubauen. Parallel dazu gab es eine kompatible genealogische Datenbank, wo der Stammbaum jedes einzelnen Isländers bis ins Mittelalter hinein zurückverfolgt werden konnte; es war die Rede von der Suche nach der original isländischen Erbmasse. Das Hauptziel war herauszufinden, wie sich Krankheiten vererbten, ihnen mit Hilfe der Genforschung auf den Grund zu gehen und möglichst Wege zur Heilung zu finden. Es war die Rede von einer homogenen Nation, die sich wenig mit anderen Nationen vermischt hatte und deswegen ein optimales genetisches Forschungsobjekt sei.
Die Firma und das Gesundheitsministerium, das die Einrichtung der Datenbank abgesegnet hatte, garantierten, dass kein Unbefugter an diese Datenbank herankönne. Sie beschrieben ein kompliziertes System, nach dem die Informationen codiert und gespeichert würden, das absolut nicht zu knacken sei.
»Machst du dir Sorgen, wer dein Vater ist?«, fragte Erlendur. Er hatte sich ebenfalls Gummihandschuhe angezogen und ging vorsichtig ins Wohnzimmer. Er griff nach einem Fotoalbum und blätterte darin. Es war ziemlich alt.
»Es wurde immer gesagt, dass ich weder meinem Vater noch meiner Mutter ähnlich sehe, und eigentlich niemandem aus meiner Familie.«
»Das Gefühl habe ich schon immer gehabt«, sagte Erlendur.
»Was für ein Gefühl? Was meinst du eigentlich?«
»Dass du ein Bastard bist.«
»Schön, dass du deinen Humor wiedergefunden hast«, sagte Sigurður Óli. »Du bist in letzter Zeit ziemlich merkwürdig gewesen.«
»Wieso Humor?«
Er blätterte das Album durch. Es waren alte Schwarzweiß-Fotos. Er glaubte auf manchen Fotos Einars Mutter zu erkennen. Der Mann auf den Fotos musste dann Albert sein, und die drei Jungen ihre Söhne. Die Bilder waren zu Weihnachten oder in den Sommerferien gemacht worden, manche waren ganz alltäglich, auf der Straße oder in der Küche aufgenommen, wo die drei Jungen in gemusterten Strickpullovern am Tisch saßen, an die Erlendur sich aus dieser Zeit erinnern konnte. Die Zeit vor 1970. Die älteren trugen die Haare lang. Dann ein buntes Gemisch von Bildern aus dem Ausland. Der Tivoli in Kopenhagen, schien es Erlendur.
Weiter hinten im Album waren die Jungen älter und die Haare noch länger geworden, sie trugen Anzüge mit breiten Aufschlägen und Schuhe mit klotzigen Absätzen. Katríns Haar war toupiert. Jetzt waren es Farbfotos, und Alberts Haare hatten sich seitdem verringert. Erlendur suchte nach Einar, und als er ihn mit seinen beiden Brüdern und den Eltern verglich, sah er, wie wenig Ähnlichkeit er mit ihnen hatte. Die beiden anderen waren ihren Eltern sehr ähnlich, besonders dem Vater. Einar war das hässliche kleine Entlein.
Er legte das alte Album weg und nahm sich ein neueres. Die Fotos darin schien Einar von seiner eigenen Familie gemacht zu haben. Sie zeigten keine so lange Geschichte. Es war, als habe Erlendur Einars Lebenslauf da aufgeschlagen, als er seine Frau kennen lernte. Er überlegte, ob die Bilder aus der Zeit stammten, als die beiden jung und verliebt waren. Sie waren durch Island gereist. Schienen in Hornstrandir gewesen zu sein. Þórsmörk. Herðubreiðarlindir. Manchmal waren
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