Nordermoor
Eingang. Zwei Sicherheitsbeauftragte nahmen Erlendur in der pompösen Eingangshalle in Empfang. Er hatte sich angemeldet, und die Direktorin hatte sich gezwungen gesehen, ihm einige Minuten ihrer kostbaren Zeit zur Verfügung zu stellen.
Die Direktorin war einer der Eigner des Unternehmens, eine Genetikerin, die ihre Ausbildung in England und in den USA absolviert hatte und Island als ideales Land für genetische Forschung im Interesse der Pharmaindustrie propagierte. Mit Hilfe der Datenbank war es möglich, sämtliche Krankenberichte aus dem ganzen Land an einem Ort zu sammeln und Informationen über den Gesundheitszustand der Nation zu erhalten, die auf der Suche nach schadhaften Genen von Nutzen sein konnten.
Die Direktorin empfing Erlendur in ihrem Büro. Eine Frau um die fünfzig, Karí tas mit Namen, schlank und zart gebaut, schwarzhaarig, mit freundlichem Lächeln. Sie war kleiner, als Erlendur sie sich nach den Bildern im Fernsehen vorgestellt hatte. Sie empfing Erlendur liebenswürdig, verstand aber nicht, was die Kriminalpolizei in ihrem Unternehmen zu suchen hatte. Sie bot Erlendur einen Stuhl an. Während er die Gemälde an den Wänden betrachtete, sagte er ihr rundheraus, dass es Grund zu der Annahme gäbe, dass illegalerweise in die Datenbank eingebrochen worden sei und ihr Daten entnommen worden seien, die die betreffenden Individuen schädigen könnten. Er wusste selbst nicht ganz genau, wovon er eigentlich sprach, aber sie schien Bescheid zu wissen. Und zur Erleichterung von Erlendur kam sie direkt zur Sache. Er hatte Widerstand erwartet. Eine Verschwörung des Schweigens.
»Die Sache ist so brisant wegen der persönlichen Daten«, sagte sie sofort, als Erlendur geendet hatte, »und deswegen muss ich dich bitten, dass dies hier ausschließlich unter uns bleibt. Wir wissen seit geraumer Zeit, dass jemand illegalerweise in die Datenbank eingedrungen ist. Wir haben die Sache hier im Haus untersucht, und der Verdacht richtet sich auf einen bestimmten Biologen, mit dem wir aber noch nicht reden konnten, da er wie vom Erdboden verschwunden ist.«
»Einar?«
»Ja, genau. Wir sind noch dabei, die Datenbank aufzubauen, wenn man das so ausdrücken kann, aber wir wollen verständlicherweise nicht, dass es sich herumspricht, dass man den Code entschlüsseln und sie nach Belieben durchforsten kann. Das verstehst du. Obwohl sich diese Sache eigentlich nicht um den Code dreht.«
»Warum habt ihr nicht die Polizei hinzugezogen?«
»Wie ich bereits sagte, wollen wir das hausintern in den Griff kriegen. Die Sache ist ziemlich brisant für uns. Die Leute vertrauen uns, dass die Informationen, die in die Datenbank eingehen, nicht an die Öffentlichkeit gelangen oder zu zweifelhaften Zwecken verwendet oder schlicht und ergreifend gestohlen werden. Dir ist sicher klar, wie umstritten das in der Öffentlichkeit ist, und wir möchten eine Massenhysterie vermeiden.«
»Massenhysterie?«
»Es hat manchmal den Anschein, als sei die ganze Welt gegen uns.«
»Wenn er den Code geknackt hat, wieso dreht es sich dann nicht um den Verschlüsselungscode?«
»Unglaublich, wie du das darstellst, das klingt wie in einem billigen Roman. Nein, er hat keinen Code geknackt. Eigentlich nicht. Er ist anders vorgegangen.«
»Wie denn?«
»Er hat ohne Bevollmächtigung ein Forschungsprojekt eingerichtet. Er hat Unterschriften gefälscht. Meine beispielsweise. Er gab vor, dass das Unternehmen an den Vererbungslinien einer Tumorkrankheit arbeitete, die in Island in einigen Familien zu finden ist. Er hat das Daten-Schutzkomitee getäuscht, das eine Art Kontrollinstanz für die Datenbank ist. Er hat die Wissenschaftskommission getäuscht. Er hat uns alle hier getäuscht.«
Sie schwieg einen Augenblick und schaute auf ihre Armbanduhr, dann stand sie auf und ging zu ihrem Schreibtisch, um ihre Sekretärin anzurufen. Sie verschob eine Besprechung um zehn Minuten und setzte sich wieder zu Erlendur.
»Das Verfahren ist bislang so gelaufen«, sagte sie.
»Das Verfahren?«
Karítas blickt ihn nachdenklich an. Das Handy in Erlendurs Tasche begann zu klingeln, er entschuldigte sich und nahm das Gespräch an. Sigurður Óli war in der Leitung.
»Die Spurensicherung befasst sich mit Einars Wohnung in Stóragerði«, sagte er. »Ich habe dort angerufen, und sie haben so gesehen nichts gefunden, außer dass sich Einar vor zwei Jahren einen Waffenschein beschafft hat.«
»Waffenschein?«, wiederholte Erlendur.
»Der ist bei uns eingetragen.
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