Nordermoor
gesehen?«
Elín nickte.
»Ich bin fürchterlich erschrocken, das gebe ich zu, und natürlich war das nicht Holberg selber, aber dieser Mann sah wirklich genauso aus wie er.«
Erlendur überlegte, ob er Elín etwas von dem erzählen sollte, worüber er sich in letzter Zeit den Kopf zerbrochen hatte. Er überlegte, wie viel er ihr sagen könnte und ob das, was er sagte, überhaupt auf Realität basierte. Sie saßen schweigend da, während er überlegte. Es war Abend, und er dachte an Eva Lind. Er spürte wieder diesen Schmerz in der Brust und fing an zu massieren, als ob er ihn dadurch vertreiben könnte.
»Geht es dir nicht gut?«, fragte Elín.
»Wir sind in den letzten Tagen einer Spur nachgegangen, von der ich noch nicht weiß, ob sie überhaupt etwas bringt«, sagte er. »Dieser Vorfall hier bestärkt allerdings diese Theorie. Falls es noch ein anderes Opfer von Holberg gibt, falls Holberg eine andere Frau vergewaltigt hat, dann ist nicht auszuschließen, dass auch diese Frau genau wie Kolbrún ein Kind von ihm bekommen hat. Wegen der Nachricht, die bei dem Toten hinterlassen wurde, habe ich diese Möglichkeit in Erwägung gezogen. Es könnte sein, dass diese Frau einen Sohn bekommen hat. Der könnte heute um die 40 sein, falls diese Vergewaltigung vor 1964 stattgefunden hat. Und dann kann es sein, dass er heute Abend hier draußen vor deinem Haus gestanden hat.«
Elín blickte ihn wie vom Donner gerührt an.
»Ein Sohn von Holberg? Ist das möglich?«
»Du hast gesagt, dass er ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war.«
»Ja, aber …«
»Ich stelle nur Überlegungen an. Irgendwo in dieser Angelegenheit fehlt ein Glied in der Kette, und ich glaube, dass es dieser Mann sein kann.«
»Aber warum? Was wollte er denn hier?«
»Liegt das nicht auf der Hand?«
»Was liegt auf der Hand?«
»Du bist die Tante seiner Schwester«, sagte Erlendur und sah, wie sich Verwunderung in Elíns Gesicht breitmachte, als ihr langsam klar wurde, was Erlendur meinte.
»Auður war seine Schwester«, stöhnte sie. »Aber wieso weiß er dann von mir? Woher weiß er, wo ich wohne? Wie kann er Holberg mit mir in Verbindung bringen? Es hat nichts über seine Vergangenheit in den Zeitungen gestanden, nichts über seine Vergewaltigungen oder dass er eine Tochter gehabt hat. Niemand wusste von Auður. Wieso weiß dieser Mann, wer ich bin?«
»Er beantwortet uns das vielleicht, wenn wir ihn gefunden haben.«
»Glaubst du, dass er Holbergs Mörder ist?«
»Jetzt fragst du mich, ob er seinen Vater ermordet hat«, sagte Erlendur.
Elín dachte nach.
»Gerechter Himmel«, rief sie dann.
»Das weiß ich nicht«, sagte Erlendur. »Wenn du ihn noch einmal hier draußen siehst, ruf mich an.«
Elín war aufgestanden und ging zum Fenster, das auf den Weg hinausblickte. Sie schaute hinaus, als erwartete sie, den Mann wieder dort zu sehen.
»Ich weiß, dass ich ein wenig hysterisch war, als ich dich anrief und über Holberg sprach, weil ich einen Augenblick glaubte, dass er es war. Ich habe mich bei seinem Anblick so fürchterlich erschreckt. Aber ich hatte keine Angst. Ich war eher wütend, aber da war irgendwas mit diesem Mann. Wie er dastand, wie er den Kopf hängen ließ. Es lag etwas Bedrücktes über ihm, eine Trauer. Ich dachte bei mir, dass es diesem Mann schlecht geht. Hatte er Verbindung zu seinem Vater? Weißt du etwas darüber?«
»Im Grunde genommen weiß ich nicht einmal, ob dieser Mann überhaupt existiert«, sagte Erlendur. »Was du gesehen hast, stützt eine bestimmte Theorie. Wir haben keinerlei Hinweise auf diesen Mann. Bei Holberg gab es keine Konfirmationsbilder von ihm, falls du das gemeint hast. Allerdings hatte Holberg, kurz bevor er ermordet wurde, Anrufe bekommen, die ihn beunruhigten. Mehr wissen wir nicht.«
Erlendur ging an sein Handy und entschuldigte sich bei Elín.
»Gibt’s was Neues?«, fragte er, als Sigurður Óli antwortete.
»In was für eine Scheiße hast du uns da eigentlich reingerissen!«, schrie Sigurður Óli, der seine Wut kaum unterdrücken konnte. »Sie sind bis auf das Kloakenrohr hinunter, und da wimmelt es von Ungeziefer, Millionen von kleinen, widerwärtigen ekelhaften Viechern unter dem Scheißfundament. Das ist Ekel erregend! Wo zum Henker bist du?«
»In Keflavík. Irgendwelche Anzeichen von Grétar?«
»Nein, nicht das geringste Scheißanzeichen von einem gottverdammten Grétar«, sagte Sigurður Óli und hängte ein.
»Da ist noch was, Erlendur«, sagte Elín, »was mir
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