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Norderney-Bunker

Norderney-Bunker

Titel: Norderney-Bunker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Reuter
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ins Leere. Er schaute nun drein, als habe er sich fest vorgenommen, das Denken komplett einzustellen.
     

Insel unter Schock
    Die Nachricht vom Tod des Norderneyer Hoteliers Onno Aden hatte sich auf der Insel in Windeseile herumgesprochen. Schwer zu sagen, wo die undichte Stelle war; aber man musste davon ausgehen, dass die wüsten Gerüchte ihren Ursprung im Umfeld des Bestatters nahmen. Natürlich hatte die Polizei zunächst einmal eine Nachrichtensperre verhängt. Insofern stießen die Medienvertreter der Insel mit ihren Anfragen auf Granit. Nicht nur die Wache auf Norderney machte dicht; auch die offizielle Pressestelle der Polizeiinspektion in Aurich rührte Beton an.
    Jedenfalls legte sich eine spürbare Unruhe über Norderney, die sich unter anderem darin äußerte, dass – deutlich häufiger als sonst – kleine Gruppen zusammenstanden und Informationen hinter vorgehaltener Hand die Runde machten. Die Bewohner der Insel schienen zusammenzurücken. Die Menschen redeten lange und intensiv miteinander und den Gesichtsausdrücken war unmissverständlich zu entnehmen, dass es hier um eine ernste, um eine bedrohliche, wenn nicht gar um eine todernste Sache ging. Von einer Stimmung dieser Art war Norderney zuletzt vor gut zwei Jahren in Beschlag genommen worden, als im Ruppertsburger Wäldchen spielende Kinder eine steif gefrorene Leiche gefunden hatten. Ein in die Jahre gekommener Kellner war ermordet worden. Auch damals ging die Angst um. Ist der Mörder noch auf der Insel? Sucht er schon nach seinem nächsten Opfer? Sind die Fähren noch sicher, alle Türen verschlossen? Diese und noch viel mehr Fragen dieser Art stellten die Insulaner an jenen Tagen an jeder Straßenecke und jeder Ladentheke.
    Den inzwischen reichlich vorhandenen Feriengästen fiel die veränderte Seelenlage der Insulaner nicht auf. Besonders die frisch angereisten Gäste nahmen von den sorgenvollen Blicken keine Kenntnis. Sie freuten sich auf ihren Urlaub, und gerade jene, die zum ersten Mal nach Norderney kamen, verbanden mit dem Begriff Insel vom Grundsatz her ohnehin nichts anderes als Stille, Unberührtheit und Wohlbehagen. Und diejenigen, die die Ursachen ihrer Zivilsationsdepression im Keim zu ersticken suchten, erkannten das Absolute im Wesen des Eilands in der Heilkraft der Ereignislosigkeit. In den Köpfen der Besucher vom Festland war damit ein von der Schöpfung großartig wie mystisch dargebotenes Naturwerk verankert. Die Tatsache, dass der insularen Tadellosigkeit nun plötzlich ein Makel anhaftete, vergrub sich in so manch Norderneyer Seele wie ein Geschwür.
     
    Von der Schockstarre der Insel blieben auch Winnetou und Lübbert zunächst unberührt. Winnetou wollte den vorletzten Tag seines Gewinn-Urlaubs am Strand und in diversen Cafés sowie Fahrrad fahrend verbringen. Immerhin besaß er noch so viel Taschengeld, dass er davon heute und morgen sich selbst und auch Lübbert irgendwie durchbringen konnte. Außerdem war er mittlerweile überzeugt davon, dass der Hotelier nach der Abreibung vom Vorabend einknicken und ihnen heute Abend den Koffer mit den 50   000 Euro übergeben würde. Sie saßen auf einer Bank zwischen Bülowallee und Kurplatz. Von hier hatte man einen hervorragenden Blick auf das Inselzentrum. Die Vorderseite des Conversationshauses lag noch im Schatten, doch die Sonne wärmte bereits den Rasen und die Rathausfassade, als das Budapester Salonorchester in der Konzertmuschel Straussens „Kaiserwalzer“ anstimmte. In die Poststraße bogen gleichzeitig gleich zwei Polizeiwagen im Schritttempo ein. Wenige Sekunden später setzte das Knattern eines Hubschraubers dem Spiel der tapferen Musiker ein jähes Ende. Aber nur scheinbar. Die Tonkünstler vom Balkan fiedelten und bliesen munter weiter, stemmten sich mit musikalischem Trotz gegen das Höllenspektakel vom Himmel, bis der Helikopter Richtung Westbadestrand abdrehte. Die Budapester spielten noch frisch und fröhlich, als der Beifall der Kur- und Badegäste bereits etliche Takte vor dem Walzerfinale zu einer akustischen Demonstration der Anerkennung und des allgemeinen Verzückens anschwoll. Auch Winnetou spendete den Kollegen Applaus, obwohl Walzermusik das von ihm bevorzugte Genre nicht einmal streifte. Lübbert schüttelte verständnislos mit dem Kopf, obgleich man den Akteuren in der Konzertmuschel ansah, dass sie die musikalische Auseinandersetzung mit dem Hubschrauber arg mitgenommen hatte. Sorgenvolle Blicke blitzten gen Himmel, bevor das Ensemble einen

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