Norderney-Bunker
auch der Tisch kam, nachdem er abgewischt war, an seinen angestammten Platz. Sie wechselten dabei kein Wort, der Abschied sollte schweigsam vonstatten gehen, hatten sie am Abend zuvor beschlossen. Nachdem sie die Kaschmirdecken gemeinsam gefaltet hatten, spürte Winnetou zunächst einen leichten Lufthauch. Gleich darauf vernahmen sie ein Flüstern, das eindeutig vom Eingang her kam. Lübbert reagierte prompt. Er trat gezielt einen Schritt nach links und löschte das Licht. „Hier riecht es komisch, hier ist geraucht worden“, hörten sie eine Stimme. „Hier riecht es wie in einer Kneipe“, sagte ein anderer Mann. Im selben Moment knipste der seine Taschenlampe ein und leuchtete Winnetou mitten ins Gesicht. Dessen Schrei war so laut, dass der Taschenlampenträger zusammenfuhr und zu keiner Reaktion mehr fähig war. Er blieb wie angewurzelt stehen. Das galt auch für dessen Bürgerwehr-Kumpel, dem das Herz in die Hose rutschte, nachdem Lübbert ihn mit lautem Gejohle am Kragen gepackt und gegen den Gewölbebogen geschubst hatte. Als sich die beiden Männer der Nordeneyer Bürgerwehr nach ein paar Sekunden wieder gefasst hatten, waren Lübbert und Winnetou spurlos verschwunden.
„Ich finde Norderney ja richtig schön. Eigentlich möchte ich hier mal Urlaub machen.“
Gent Visser schaute seinen Kollegen Faust ungläubig, ja fast erschrocken an. Sie saßen auf der Terrasse des Extrablatt und rauchten eine Zigarette. Seit dem Frühstück hatten beide nichts mehr gegessen, nun war es bereits kurz vor einundzwanzig Uhr und sie brauchten dringend eine Stärkung. Gent hatte sich ein schlichtes Wiener Schnitzel bestellt, mit Pommes und Salat. Faust stand der Sinn nach einem Salat mit Käse-Schinken-Streifen und Pizzabrötchen.
„Hätte ich nicht gedacht“, antwortete Visser. „Wo du die Insel in den vergangenen Tagen doch so oft verflucht hast.“
„Das hat mit der Insel als solcher ja nichts zu tun. Wenn ich hier einen Wutausbruch kriege, dann liegt das an diesem verdammten Fall.“
„Dann bin ich ja beruhigt“, sagte Visser und drückte die Zigarette aus. „Zimmer gibt es hier jedenfalls genug. Du musst nur früh genug buchen. Die Insel brummt.“
„Ich merke es“, entgegnete Faust und grinste. „Nicht nur touristisch, auch was die Kriminalitätsstatistik angeht, geht es tüchtig bergauf.“
Dass die Bedienung mit den kurzen, blonden Haaren mit dem Essen hinter ihnen stand, hatten sie gar nicht bemerkt.
„Wer bekommt das Schnitzel?“, fragte die junge Frau. Visser fuhr herum. Er nahm den Teller entgegen und räumte gleichzeitig mit dem Ärmel die Zigarettenschachtel beiseite, damit er das Essen abstellen konnte. Während Faust seinen Salat entgegennahm, läutete dessen Handy.
„Hier, halte mal fest“, sagte er zu Visser und reichte ihm den Teller. Schon nach wenigen Sekunden war Visser klar, dass dieser Anruf von enormer Bedeutung war. Faust telefonierte hemmungslos drauf los, egal, was die Gäste dachten, die in ihrer Nähe saßen. Als Visser ihm ein Zeichen gab, dass er sich beherrschen soll, rückte Faust näher zu seinem Kollegen heran und ließ ihn mithören.
„Setzt sie auf die Fähre und bringt sie her. Sofort!“, befahl Faust seinem Gesprächspartner.
„Das geht nicht“, antwortete der Kollege am anderen Ende der Leitung.
„Warum geht das nicht?“
„Es fahren um diese Zeit keine Fähren mehr.“
„Scheiße. Saftladen.“
„Ich schlage vor, wir setzen sie in Aurich in eine Zelle und Sie kommen morgen früh, um sie zu vernehmen.“
„Ich denke ja im Traum nicht dran. Ich will die sofort haben. Hier auf der Insel. Schickt sie mit einem Hubschrauber hierher.“
„Herr Faust. Ich bitte Sie. Die Kosten. Dieser Aufwand. Das steht in keinem Verhältnis.“
„Der Innenminister persönlich hat gesagt, dass Kosten keine Rolle mehr spielen. Wir sollen diesen gottverdammten Fall auf Teufel komm raus aufklären. Und da hat er verflucht noch mal verdammt recht. Ich bin es inzwischen auch mehr als nur leid, hier irgendwelchen Phantomen hinterher zu jagen. Schickt mir die Frau auf die Insel, jetzt sofort“, schrie er und schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Teller sich hoben.
Faust hatte mittlerweile also doch die Haltung verloren. Er stand kurz davor, mit seiner Wortwahl deutlich zu überziehen, außerdem sprach er jetzt so laut, dass er und Visser alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten. Visser stieß ihm mit dem Ellbogen in die Seite. Doch Faust gab nicht nach. Dann
Weitere Kostenlose Bücher